Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Moor, und sie war verzweifelt auf dieses Wissen angewiesen. Ja, genauso verhielt es sich.
Moment mal , sagte sie sich.
Bis man mit Blitzen zu kämpfen verstand, musste man einen Weg hinter sich bringen, der mit jahrelangem Training gepflastert war, am Anfang jedoch stand eine einfache Regel: Belüge dich niemals selbst! Das bedeutete, dass man seine Motivation akzeptierte und zu seinen Gefühlen und Wünschen stand, ohne so zu tun, als wären sie besonders nobel oder bösartig. Diese Regel war leicht zu begreifen, aber nur sehr schwer zu befolgen. So wie in diesem Moment.
Sie musste ehrlich zu sich sein und die Wirklichkeit anerkennen: William, der verrückte, mörderische William, hatte ihr mit seinen Bernsteinaugen und dem wölfischen Grinsen ordentlich den Kopf verdreht. Er war wie eine gefährliche Trickkiste voller Rasierklingen – ein falscher Griff, und die Klingen schnitten einem die Finger in Streifen. Und sie war die Närrin, die es nicht erwarten konnte, die Trickkiste zu öffnen und sich blutige Finger zu holen.
Cerise ließ Luft ab. Sie wollte ihn, schön. Leugnen war sinnlos. Aber das allein war noch nicht genug, um ihn in ihr Haus zu lassen. Nicht, dass sie sich das eingestand, sie hatte im Gegenteil kein Problem damit, überhaupt nicht daran zu denken.
»Ein Mann wie Sie würde nicht auf der Suche nach irgendwelchem Schmuck im Moor herumlaufen, William. Sie haben mich angelogen, und ich hätte Sie fast in das Haus meiner Familie mitgenommen. Ich kann es mir nicht leisten, belogen zu werden.«
»Dagegen lässt sich nichts einwenden«, sagte er.
»Und doch hätten Sie mich im Schlaf umbringen können. Haben Sie aber nicht. Stattdessen haben Sie mir geholfen, mich vor der Hand zu verstecken, und meinem Vetter das Leben gerettet. Mal ehrlich, William: Warum sind Sie hier? Arbeiten Sie für jemanden? Raus damit!«
Sag die Wahrheit, damit ich dich nicht in diesem Sumpf zurücklassen muss. Sag die Wahrheit, damit ich weiß, dass wir eine Chance haben .
»Nichts für ungut, wenn Sie nicht können. Dann gehen wir von nun an getrennte Wege. Ich zeichne Ihnen auch eine Karte, damit Sie wieder in die Stadt zurückkommen. Sagen Sie einfach gar nichts, wenn Sie mir nicht verraten können, warum Sie sich an mich drangehängt haben. Aber belügen Sie mich nicht, oder Sie werden es zutiefst bereuen, das schwöre ich. Ich arbeite vielleicht mit Ihnen zusammen, aber ich werde nicht zulassen, dass Sie mich oder meine Familie benutzen.« Cerise reckte das Kinn. »Also, was ist?«
Er musste lügen.
Cerise war die Enkelin von Blaublütigen aus Louisiana. In Louisiana brachte man Leute wie ihn um. Für sie war er ein Gräuel.
Innerlich gelang es William, diese Tatsache zu übergehen. Aber in diesem Augeblick starrte sie ihm ins Gesicht. Er würde sehr vorsichtig vorgehen müssen. Schließlich hatte sie schon jetzt genug Angst. Er würde so lange vor ihr verbergen müssen, wer er war, bis sie sich an ihn gewöhnt hatte.
Er wollte ihr keine Angst einjagen, aber, verdammt noch mal, sie wäre eine wunderbare Jagdbeute. Er würde ihr einen Vorsprung lassen. Und wenn er sie erst hatte, würde er schon dafür sorgen, dass sie nicht noch einmal weglaufen wollte.
Doch sie lief nicht weg. Sie stand nur da und wartete auf seine Antwort.
Auch den Spiegel musste er aus der Sache heraushalten. Die Hand war ein Stein, der Spiegel der andere Stein, und ihre Familie würde beim Zusammenprall zwischen beiden zerquetscht werden. Cerise würde annehmen, dass er sie nur benutzte – und das würde er auch –, und ihr war klar, dass ein paar kleine Edger nur sehr wenig bedeuteten, wenn irgendwo am großen Rad gedreht wurde.
Er musste lügen.
Das machten Spione nun mal – um zu bekommen, was sie wollten, logen sie. Aber er musste es geschickt anstellen, denn wenn er es vermasselte, würde sie einfach im Moor verschwinden und ihn mit den abgerissenen Enden ihres Gesprächsfadens stehen lassen, ohne dass er das Geringste daran ändern konnte. Ihr wehzutun wäre nicht schwierig, sie schützte nur ihre Familie, und wenn er eine gehabt hätte, hätte er es ganz genauso gemacht wie sie.
Er musste sie davon überzeugen, dass er auf eigene Faust handelte und lediglich seine eigenen persönlichen Rachegelüste befriedigen wollte. Und davon, dass er menschlich war.
William sah sie an. »Der Mann, der Ihre Eltern entführt hat, heißt Spider. Ich bin hier, um ihn zu töten.«
Cerise blinzelte. »Warum?«
Sie musste das fragen. William
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