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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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alleine verantworten. Morgen schicke ich meine Familie in ein Gemetzel, damit wir Großvaters Haus zurückkriegen. Einige werden nicht zurückkommen. Und ich wünsche mir nichts mehr, als dass meine Eltern mir sagen, dass ich alles richtig mache, aber das können sie nicht. Ich muss selbst dafür sorgen, alles richtig zu machen. Ich komme mir vor, als müsste ich eine Prüfung bestehen und irgendwer hätte mir meinen Pfuschzettel geklaut. Ich muss zwischen heute und morgen ein paar Jahre Erwachsenwerden überspringen, und zwar in null Komma nichts.«
    So. Da hatte er mehr bekommen, als er rausholen wollte, da war sie sich sicher.
    »Das ist, als wäre man plötzlich Sergeant«, sagte William. »Zuerst ist man bloß dienstverpflichtet, ein einfacher Legionär. Solange man zum befohlenen Zeitpunkt am befohlenen Einsatzort steht, ist alles in Butter. Dann bringt man es zum Sergeant, und alle warten nur noch darauf, dass man irgendwas vermasselt: die über einem genauso wie die unter einem, und natürlich alle, die einen vorher schon kannten und meinen, sie wären an dem Platz, den man einnimmt, besser aufgehoben. Da hält einem keiner die Hand.«
    »Ja, als wäre man Sergeant, schätze ich«, murmelte sie.
    »Die Regel lautet: Du kannst danebenliegen, darfst aber niemals zweifeln. Das unterscheidet einen von anderen. Wer Unsicherheit zeigt, dem folgt keiner.«
    »Und wenn man doch zweifelt?«
    »Darf man sich nichts anmerken lassen, oder man hat die Arschkarte gezogen.«
    Sie seufzte. »Werd ich mir merken. Es hat Ihnen beim Militär gefallen, Lord Bill. Sie kommen immer wieder darauf zurück.«
    »Da war’s leicht«, teilte er ihr mit.
    »Warum haben Sie den Dienst quittiert?«
    »Weil man mich zum Tode verurteilt hatte.«
    Was? »Wie bitte?«
    William blickte geradeaus. »Ich wurde vors Kriegsgericht gestellt.«
    Was hatte er verbrochen? »Weshalb?«
    »Terroristen hatten im Weird einen Staudamm gekapert. Sie nahmen Geiseln und drohten damit, die Stadt unter Wasser zu setzen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden.«
    »Und was wollten die?«
    William verzog das Gesicht. »Eine Menge. Am Ende nur noch Geld. Der Rest diente nur dazu, sich als etwas anderes auszugeben als gemeine Räuber.«
    »Was geschah dann?«
    »Der Staudamm war sehr alt und von Gängen durchzogen. Ich sollte in den Einsatz gehen, weil ich mich nicht so schnell verlaufe und meine Vorgesetzten darauf zählten, dass ich mich an ihre Befehle halten würde. Und die waren eindeutig: die Terroristen ausschalten und die Zerstörung des Staudamms verhindern. Dass der Damm intakt blieb, hatte oberste Priorität.«
    Alles klar. »Vor dem Leben der Geiseln?«
    Er nickte und verstummte.
    »William«, soufflierte sie behutsam.
    »Da war ein Junge«, sagte er leise.
    Oh nein. »Sie haben zugelassen, dass die den Damm sprengen, um ein Kind zu retten.«
    Er nickte.
    »Und dafür wurden Sie zum Tode verurteilt? Was waren das bloß für Menschen, diese Schweinehunde aus dem Weird? Hat Ihre Familie nicht dagegen protestiert? Ihre Mutter muss doch jeden Politiker, der ihr unter die Finger kam, zusammengestaucht haben!«
    Er blickte immer noch stur geradeaus. Mit seiner gelangweilten, hochnäsigen Miene wirkte er von Kopf bis Fuß wie ein Blaublütiger. »Ich habe keine Mutter. Hab sie nie gekannt.«
    Cerise verlor jede Lust am Streit. »Das tut mir so leid. Ob Weird oder Edge, Frauen sterben wohl immer noch im Kindbett.«
    Er reckte das Kinn um einen weiteren Bruchteil eines Zentimeters. »Sie ist nicht gestorben. Sie hat mich weggegeben.«
    Cerise blinzelte. »Sie hat was?«
    »Sie wollte mich nicht, also hat sie mich der Regierung übergeben.«
    Cerise starrte ihn an. »Was wollen Sie damit sagen? Übergeben? Sie waren doch ihr Sohn.«
    »Sie war jung und arm, daher wollte sie mich nicht großziehen«, antwortete er. Seine Stimme klang so unbeschwert, als würde er ihr gerade mitteilen, dass ihr Nachmittagsspaziergang wegen des Regens leider ausfallen müsse.
    »Und was ist mit Ihrem Vater?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Dann sind Sie in einem Waisenhaus aufgewachsen?«
    »So was in der Art.«
    Jedenfalls nicht in einem netten Waisenhaus. Das erkannte sie an seinem vollkommen ruhigen Gesichtsausdruck. Den hatte sie auch schon gesehen, als Urow sich mit seiner Familie gebrüstet hatte. Jetzt war ihr alles klar. Deshalb verglich er immer alles mit der Armee. Er war in einem Höllenwaisenhaus aufgewachsen und gleich danach zum Militär gegangen, nur um dort

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