Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
ich geschlafen habe. Oder gegessen.«
»Wir gehen jetzt lieber heim«, meinte Richard.
»Ja.« Cerise stand auf, fiel aber sofort wieder auf ihren Stuhl zurück. »Emel.«
Aus dem Hintergrund des Gerichtssaals kam ein Mann in einem langen, purpurroten Mantel auf sie zu. Der Typ war dunkelhaarig und sehr schlank und sah Richard ein bisschen ähnlich, wenn man sich Richards Gesicht vornahm und es um ein paar Zentimeter streckte. William kramte in seinem Gedächtnis: Emel, der Nekromant, der Vetter, der ihr angeblich wegen des Fisches mit Beinen den Kopf abreißen würde.
»Gibt es einen bestimmten Grund, warum du unserem lieben Vetter nicht begegnen willst?« Kaldar schob die Dokumente zusammen. »Er ist ein bisschen grantig und riecht wie eine Leiche, aber er gehört zur Familie …«
»William hat seinen Aal gekillt.« Cerise ging neben ihrem Platz in Deckung.
Die vier Mars starrten ihn an. William zuckte die Achseln. »Das Biest wollte mich fressen.«
»Emel wird Geld wollen«, brummte Cerise. »Daran kann ich im Moment nichts ändern.«
Mit einem Kopfrucken deutete Kaldar auf den Ausgang. »Los, halten wir ihn hin.«
Cerise glitt aus ihrer Stuhlreihe und verschmolz mit der Menge. William straffte sich, doch er konnte ihr unmöglich folgen, ohne ihren Vetter wegzuschubsen.
Darauf drehte sich Kaldar um und trat mit einem breiten Grinsen vor. »Emel!«
Emel wirkte ein wenig perplex. »Vetter.«
Sie umarmten einander.
Über Emels Schulter zwinkerte Kaldar William zu. Und Großmutter Az beobachtete sie mit einem liebenswürdigen Lächeln.
»Meinen Glückwunsch zur gewonnenen Schlacht.« Emels Stimme klang überraschend angenehm.
»Vielen Dank«, sagte Kaldar.
Emel faltete in der Art eines frommen Priesters die Hände. »Lagar wird nicht friedlich weichen. Das lässt Kaitlin nicht zu. Teilt mir mit, wenn ihr Hilfe benötigt. Offiziell kann ich zwar nichts unternehmen – die Sekte will da nicht hineingezogen werden –, aber ein paar Fäden kann ich natürlich trotzdem ziehen. Und, äh, ich verfüge auch über gewisse bescheidene Fähigkeiten.«
Kaldar nickte. »Danke, Emel.«
Emels Miene verdüsterte sich. »Da wir gerade von Nöten reden. Ich bin hier, weil ich Cerise treffen wollte. Ich würde mich gerne mit ihr über eine gewisse heikle Angelegenheit unterhalten.«
Klar, die heikle Angelegenheit mit dem Fisch auf Beinen, der im Sumpf wahllos friedliebende Reisende überfiel. William öffnete den Mund, doch Großmutter Az berührte ihn am Ellbogen und schüttelte den Kopf, sodass er den Mund gleich wieder schloss.
Kaldar nickte ernst. »Tut mir leid, aber sie ist schon weg. Doch ich tue alles, um ihr eine Nachricht zukommen zu lassen.«
»Ich muss mit ihr über ein gewisses Tier sprechen, das der Sekte gehört … Normalerweise würde ich ihr gar nicht damit kommen, aber die Sekte hält eine Entschädigung für durchaus angemessen.«
»Hast wohl dein Haustier verloren, wie?«, meldete sich Großmutter Az aus ihren Tagträumen.
Emel wurde blass. »Na, Meemaw Azan, ich hab dich gar nicht gesehen …«
»Geschieht dir recht.« Großmutters Augen sprühten Funken. Als das Publikum eine neue Attraktion registrierte, geriet der Strom der Menschen ringsum ins Stocken. »Als sie noch klein war, hast du ihr ihre Puppen weggenommen, totes Zeug reingestopft und sie anschließend zum Tanzen gebracht! Wer kommt schon auf die Idee, ein kleines Mädchen könnte sich über eine stinkende Puppe voller Maden freuen? Na, was denkst du?«
Emel wand sich.
»Ich sage, sie hatte recht, deinen Aal zu töten. Das ist doch kein Haustier für einen respektablen Mann! Eine Katze oder ein Hund war nicht drin, nein, dieser Schwachkopf schafft sich einen kahlen Fisch auf Beinen an!«
Aus der Menge kam leises Gekicher.
»Meemaw Azan –«, begann Emel, doch sie fiel ihm ins Wort.
»Mir ist egal, ob du ein Nekromant bist! Kreuzt hier auf, macht sich wichtig und sagt nicht mal seiner Großmama Hallo. Hältst dich für was Besseres als deine Familie, was, Emel? Ich weiß, dass ich meine Enkelkinder besser erzogen habe. Ich schätze, ich muss mal ein Wörtchen mit deiner Mutter reden.«
In Emels düsteren Augen flackerte Furcht auf. »Ich gehe jetzt besser«, sagte er leise.
»Besser wär’s«, brummte Kaldar. »Ich richte Cerise aus, was du gesagt hast.«
Emel verneigte sich vor seiner Großmutter und startete mitten durch die feixenden Zuschauer Richtung Ausgang.
Großmutter Az stemmte die winzigen Fäuste in die
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