Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
uns was zu essen schnorren gehe. Die Küche ist um diese Tageszeit ein Tollhaus, wenn Sie sich da blicken lassen, nimmt die Fragerei kein Ende mehr: Wer sind Sie? Sind Sie ein Blaublütiger? Sind Sie reich? Da wir gerade davon reden: Sind Sie tatsächlich reich?«
»Nein«, sagte William.
»Verheiratet?«
»Nein.«
Kaldar wiegte den Kopf. »Na, eine von zwei Möglichkeiten ist gar nicht mal so übel. Reich und unverheiratet wäre perfekt. Verheiratet und arm wäre eine Doppelniete. Ein Totalausfall. Mit arm und unverheiratet könnte ich leben. Also in die Bibliothek. Außerdem müssen Sie meine Schwester kennenlernen.«
William versuchte, sich eine weibliche Ausgabe von Kaldar vorzustellen, und erhielt eine mit Morast besudelte Frau mit Kaldars Gesicht und blauen Bartstoppeln an den Wangen. Zweifellos brauchte er was zu essen und eine Mütze voll Schlaf.
»Hier entlang. Dann durch die Tür, und schon sind wir da.« Kaldar hielt ihm die Tür auf. »Hier lang, Lord … Wie war gleich Ihr Name? Ich glaube, der ist mir bisher entgangen.«
Er konnte Kaldar unmöglich erdrosseln, weil er Cerises Vetter war und weil sie ihn gern hatte. Aber er hätte es liebend gerne getan. »William.«
»William also. Bitte sehr. Die Bibliothek.«
William trat durch die Tür. Vor ihm erstreckte sich ein großer Raum mit vom Boden bis zur Decke reichenden Regalen, vollgestopft mit Büchern. In den Ecken weiche Sessel, links stand ein großer Tisch bereit, während an der Wand gegenüber eine Frau vor einem Fenster in einem Sessel saß und mit einem Metallhaken Garn in irgendein Spitzendings einfädelte.
Sie saß in einem durchs Fenster fallenden Rechteck aus Nachmittagslicht. Ihr Haar war weich, beinahe golden, die Sonne spielte darin und ließ es aufleuchten. Vage lächelnd hob sie den Blick, das glänzende Haar umgab sie wie ein Nimbus, und William fand, sie sah aus wie eine der Ikonen in den Kathedralen des Broken.
»Catherine! Ich bringe dir Lord Blaublut William. Cerise hat ihn im Sumpf aufgelesen. Er muss gefüttert werden, ich hole gleich was zu essen für ihn. Würdest du so lange auf ihn aufpassen? Ich kann ihn nicht einfach durchs Haus streifen lassen. Schließlich wissen wir nicht, was er für einer ist, am Ende schnappt er noch zu und verschlingt die Kinder.«
Catherine lächelte abermals. Ein sanftes, freundliches Lächeln. »Mein Bruder besitzt so viel Zartgefühl wie ein Nashorn. Bitte, setzen Sie sich zu mir, Lord William.«
Alles war besser als Kaldar. William ging hinüber und nahm in einem Sessel neben ihr Platz. »Nur William.«
»Nett, Sie kennenzulernen.« Ihre Stimme war leise und beruhigend. Ihre Hände bewegten sich unablässig und verwebten mit dem Haken anscheinend selbsttätig irgendein Garn. Sie trug Gummihandschuhe, wie er sie von CSI kannte, nur dass sie scheinbar zwei Paar übereinandergezogen hatte. Ihr Spitzendings ruhte auf einer Gummischürze, und ihr Garn kam aus einem mit einer Flüssigkeit gefüllten Eimer.
Seltsam.
»Wie lief es bei der Verhandlung?«, fragte sie.
»Wir haben sozusagen gewonnen«, antwortete Kaldar. »Wir sterben bei Tagesanbruch.«
»Das Gericht hat den Sheeriles vierundzwanzig Stunden Zeit gegeben«, berichtigte William ihn.
»Schon, aber ›wir sterben übermorgen bei Tagesanbruch‹ klingt nicht mal halb so dramatisch.«
»Muss denn immer alles dramatisch sein?«, murmelte Catherine.
»Na klar. Jeder hat so seine Begabung. Du kannst gut häkeln, und ich bin für dramatische Verlautbarungen zuständig.«
Catherine schüttelte den Kopf und blickte auf ihre Arbeit. Das Garndings war ein unübersichtliches Durcheinander aus Wellen, dornigen Rädern und kuriosem Flechtwerk.
»Was ist das?«, fragte William.
»Ein Schal«, antwortete Catherine.
»Wieso ist das Garn nass?«
»Das ist eine besondere Häkelarbeit.« Catherine lächelte. »Für eine ganz besondere Person.«
Kaldar schnaubte. »Kaitlin wird begeistert sein, denke ich.«
Den Namen hatte er schon mal gehört … Kaitlin Sheerile. Lagars und Pevas Mutter.
Warum zur Hölle wurde hier ein Schal für Kaitlin gehäkelt? Vielleicht enthielt er eine Botschaft.
William beugte sich vor und nahm andeutungsweise ein bitteres, sehr vages Aroma wahr. Es stieg ihm in die Nase und ließ seine Instinkte aufjaulen.
Übel! Übel , übel , übel …
Gift. Er hatte dieses Gift noch nie gerochen, dennoch wusste er mit simpler wölfischer Sicherheit, dass er es mit Gift zu tun hatte und sich besser davon
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