Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
habe ich die erforderliche Befugnis.«
»Sie sind gar kein richtiger Earl. Earl von Camarine ist bloß ein Ehrentitel.«
Er starrte sie an. »Und wo haben Sie diese kleine Pikanterie aufgeschnappt?«
»In einem Buch«, antwortete sie und versuchte, ihn mit ihrer Stimme festzunageln. »Sogar Ignoranten wie unsereiner lesen hin und wieder.«
»Aber offenbar nicht sehr gründlich«, entgegnete er. »Ehrentitel werden für besondere Verdienste und aus manch anderen Gründen verliehen. Und ein ehrenhalber ernannter Peer verfügt über dieselben Exekutivrechte wie ein vollgültiger Peer. Das können Sie ruhig in Ihrem Buch nachschlagen.«
»Warten Sie hier.«
Sie stapfte ins Haus und stieß dort beinah mit ihrer Großmutter zusammen.
»Alles in Ordnung?«, wollte Großmama wissen.
»Alles perfekt.« Rose stieg auf den Dachboden, griff sich die mächtige Enzyklopädie und mühte sich damit nach unten. Wenn er die Unwahrheit sagte, würde sie ihn mit der Nase darauf stoßen.
Sie schleppte den verstaubten Wälzer auf die Veranda und ließ ihn auf die Bodenbretter fallen.
Zum ersten Mal an diesem Morgen zeigte Declan außer felsenfester Entschlossenheit eine Spur echter Anteilnahme. »Großer Gott, wo haben Sie denn diese Antiquität her?«
»Geht Sie nichts an.« Sie hatte einen Rand-McNally-Atlas, zwei Gefäße Safran und eine Dreiliterflasche Pepsi dafür hergeben müssen. Rose blätterte durch die Seiten bis zum Register vor und fand »Einbürgerungsurkunde, Adrianglia, Seite 1745«.
»Das Buch ist gut und gerne zweihundert Jahre alt«, meinte Declan.
Rose suchte Seite 1745 und las laut vor: » Einbürgerungsurkunde – Dokument, das de jure sämtliche Bürgerrechte und -pflichten von Adrianglia verleiht. Einbürgerungsurkunden können von den folgenden Amtsträgern ausgestellt werden: Einwohnermeldeamt, beglaubigt durch das Siegel des Bürgerschaftsministers; Ministerium für Innere Angelegenheiten, beglaubigt durch das Siegel des Reichsministers; von einem Peer des Königreichs, beglaubigt durch das Familienwappen des jeweiligen Geschlechts. Nur Peers, die mindestens den Adelstitel eines Earl tragen, sind berechtigt, eine Einbürgerungsurkunde auszufertigen. Im Folgenden sind sämtliche mit diesem Recht ausgestattete Peers aufgeführt, soweit sie dem Herausgeber zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorliegenden Auflage bekannt waren .« Rose ging die Liste durch und stieß bald auf » Earl Camarine «.
»Zufrieden?«, fragte Declan trocken.
Wenn sie sich diese Chance entgehen ließ, würde sie sich für den Rest ihrer Tage in den Allerwertesten beißen. Aber wo war der Haken bei der Sache?
»Haben wir eine Abmachung?«, wollte er wissen.
»Haben wir.« Es brachte sie fast um, das zu sagen, doch sie zwang sich zu lächeln. »Diese Prüfung bestehen Sie nie.«
In diesem Moment trat Georgie auf die Veranda hinaus. Er sah Declan, ging zu ihm und umarmte ihn, ohne ein Wort zu sagen. Declan machte große Augen, dann legte er vorsichtig seine Arme um den Jungen.
Die beiden boten einen seltsamen Anblick: ein mageres, zerbrechliches blondes Kind in den Armen eines ungleich größeren und kräftigeren blonden Mannes. Eine Art Ausblick auf die Zukunft, die Georgie womöglich bevorstand, falls seine Magie ihm kein Bein stellte.
Rose seufzte und ging zum Schuppen. »Georgie, erzähl dem Blaublütigen von Großvater Cletus.«
Declan ließ ihn los, und Georgie setzte sich neben ihn auf die Veranda.
»Er ist sehr groß«, begann Georgie. »Er konnte früher gut fechten und hatte jede Menge Schwerter.«
»Wie meine?«, fragte Declan.
»Nein. Seine waren lang und dünn. Mémère hat sie noch.«
»Rapiere«, vermutete Declan.
Georgie nickte. »Er hat viel gelacht und uns Geschichten erzählt. Er war nämlich mal Pirat.«
»Freibeuter«, berichtigte Rose, während sie den letzten Wehrstein aus dem Weg stupste. »Georgie, kannst du Großpapa in Schach halten?«
Georgie nickte.
Rose packte den schweren Riegel mit beiden Händen und ruckte ihn zur Seite. Sofort flog die Tür auf, Großvater Cletus stürmte ins Freie und zerrte seine Kette hinter sich her.
Declan sprang auf die Beine und wollte mit gezücktem Dolch zu Georgie eilen.
Großvater Cletus kam ans Ende der Kette, die Manschette riss ihn zurück, und er landete hart auf dem Hintern. Sofort rollte er sich herum, stieß ein tierisches Knurren aus und krallte seine langen Finger ins Leere. Sein verfilzter Bart zitterte, als er sich in die Kette legte und
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