Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
zurück.
»Nur zweiundzwanzig?« Sie konnte es kaum glauben. Sie hatten doch viel mehr …
»Zweiundzwanzig.« Er nahm ihren Arm. »Lauf, bevor der Rest hier auftaucht!«
Wieder rannten sie durch den Wald.
»Ich glaube nicht, dass William Casshorn hilft«, meinte sie.
»Glaube ich auch nicht.«
»Was hat er dann da gemacht?«
»Wenn ich das wüsste.«
Wenn William mit Casshorn im Bunde gewesen wäre, hätte er vorhin nur Laut geben müssen, und schon wäre die gesamte Meute über sie hergefallen.
»Was war das?«, wollte Declan wissen.
»Was?«
»Dieser Lichtkreis eben?«
»Eine Abwandlung von Atamans Verteidigung«, erklärte sie. »Als ich William zum ersten Mal traf, hatte ich Sorge, er könne zu uns durchbrechen, also habe ich den Blitz dreigeteilt. So kann ich die Blitze viel schneller rotieren lassen. Sag bloß, du hast so was noch nie zuvor gesehen?«
»Ich glaube, niemand hat so etwas jemals zuvor gesehen«, teilte er ihr mit. »Und jetzt lauf weiter!«
In Rekordzeit gelangten sie zu den Palisaden. Großmama erwartete sie hinter dem Tor.
Declan deutete eine Verbeugung an. » Madame .«
»Ja, ja«, sagte sie mit säuerlicher Miene. »Tom will drinnen mit euch sprechen.«
Declan nickte.
»Habt ihr die Haare?«, fragte Rose.
»Haben wir.«
Declan verschwand in der Blockhütte. Rose klappte zusammen, lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem Rücken. Ihr Körper fühlte sich wie nasse Baumwolle an, die gerade aus der Waschmaschine kam.
»Geht’s dir gut?« Éléonores Gesicht versperrte ihr den Blick auf den Himmel.
»Prima«, antwortete sie atemlos. »Ich bleibe nur noch ein bisschen hier liegen. Der Mann besteht aus Eisen. Läuft tierisch schnell und wird nie müde.«
»Die Rabauken sind abgehauen«, sagte Éléonore.
»Was?«
»Jeremiah hat mich mit deinem Telefon angerufen. Wie verabredet ist er mit ihnen, Leanne und ihrem Jungen ins Broken gefahren. Zuerst waren die zwei ganz lieb und nett, bis er an der Tankstelle anhielt, um rechts auf die Autobahn abzubiegen. Da haben sie die Tür des Trucks aufgestoßen und sind ausgerissen.«
Rose schloss die Augen und stöhnte. Warum immer ich ?
»Jeremiah und Leanne wollten sie noch zurückholen, aber da waren sie schon über alle Berge.«
»Die sind nach Hause zurückgelaufen.« Rose stieß sich vom Boden ab und setzte sich auf. Sie fühlte sich tausend Jahre alt. Wo sollten sie sonst hin sein? »Das hat Jack vergeigt. Er ist davon überzeugt, dass wir ohne seine Unterstützung nicht gegen Casshorn ankommen, und Georgie hat er inzwischen wohl auch bequatscht. Ich schnappe mir die beiden und bringe sie zu Leanne. Ich bezweifle, dass sie mit jemandem mitkommen, der nicht zur Familie gehört. Also heißt es, du oder ich, aber das muss ich übernehmen, weil du ja Casshorn verhexen musst.«
»Beeil dich«, sagte Großmama.
»Alles klar.« Rose rappelte sich auf.
»Los!« Éléonore fuchtelte mit den Armen.
Rose lief Richtung Tor. Sie dachte kurz daran, Declan zu holen, entschied sich dann aber dagegen. Während sie ihren Fluch wirkten, musste er die Palisaden verteidigen, außerdem kannte sie den Wald wie ihre Westentasche. Sie würde die Jungen bei Leanne abliefern und wäre in ein paar Stunden zurück. Die Kinder mussten in Sicherheit gebracht werden, und je schneller sie dafür sorgte, desto besser für alle Beteiligten.
24
Rose trabte zügig die Straße entlang. Ihr taten sämtliche Knochen weh. Declans morgendliche Rennerei war wohl nicht verkehrt. Wenn sie jemals mit ihm mithalten wollte, würde sie auch mit dem Laufen anfangen müssen, auch wenn sie das inbrünstig hasste. Sie ging viel zu Fuß, aber es war ein himmelweiter Unterschied, ob man ein paar Meilen spazieren ging oder um sein Leben rennen musste. Zehn Stunden am Tag Büros zu putzen hatte ihre Kondition auch nicht gerade vorangebracht. Besser, sie würde zukünftig auch noch reiten. Im Schritttempo kam sie ganz gut klar, aber schon im Handgalopp würde sie sich an den Sattel klammern und um ihr Leben fürchten, und von gestrecktem Galopp gar nicht zu reden.
Ihr fiel ein, wie ungehalten Declan gewesen war, weil die Jungen nicht reiten konnten. Als hätte im Edge jeder seinen verdammten Gaul im Stall. Der einzige Grund, warum sie schon mal im Sattel gesessen hatte, war ihr Großvater, der darauf bestanden hatte, seine alte, halbblinde Schindmähre Lovely zu halten. Rose erinnerte sich an ihre Kindheitsritte auf dem Gaul. Aber Lovely war vor ein paar Jahren
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