Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
kippte hintenüber. Da hat Jack beschlossen, ihm zu helfen, und den anderen Jungen böse vermöbelt. Er hat ihm die Nase gebrochen und ihm einen Zahn ausgeschlagen. Kam sich dabei sogar noch wie ein Held vor. Ich habe ihm eine Woche lang Hausarrest verpasst. Wenn er dem Jungen eine gescheuert und es dabei belassen hätte, hätte ich’s ihm durchgehen lassen. Aber er hatte es übertrieben. Und Emerson an den Baum zu hängen war genauso wenig in Ordnung.« Sie seufzte. »Ob Sie’s glauben oder nicht, aber mit Declan habe ich mich deshalb auch schon gestritten. Ich will einfach nicht, dass irgendwer für mich in die Schlacht zieht. Das ist meine Angelegenheit, und ich würde gerne selbst damit fertig werden.«
Er ließ sich das durch den Kopf gehen. »Dagegen ist nichts einzuwenden.«
»Ich empfinde etwas für Sie«, fuhr sie fort. »Dankbarkeit zum Beispiel, weil Sie auf die Jungs aufpassen wollten und weil Sie sich, als ich meine Arbeit los war, um mich gekümmert haben. Aber das sind nicht dieselben Gefühle, die ich für Declan habe. Wenn Declan nicht da ist, vermisse ich ihn furchtbar. Das ist, als wäre irgendetwas in der Welt nicht mehr so, wie es sein sollte.«
»Ich hab’s kapiert«, sagte er. »Aber was heißt das jetzt für Sie und mich?«
»Wir könnten Freunde sein«, gab sie zurück. »Freunde machen die Welt erträglich. Das ist eine besondere Ehre: Wenn einer von allen Menschen, die er kennt, mit Ihnen befreundet sein will, versuchen Sie doch, demjenigen ein guter Freund zu sein. Zumindest versuche ich das immer. Ich kenne Sie ja nicht wirklich, aber ich habe das Gefühl, dass wir Freunde werden könnten, wenn wir nur genug Zeit hätten.«
Williams Miene verfinsterte sich.
»Man erfährt viel über einen Menschen, wenn man sich seine Bekannten ansieht«, sagte Rose. »Sie zum Beispiel haben doch einen Freund – Declan. Da müssen Sie über eine masochistische Ader verfügen.«
William sagte nichts.
»Er hat sich einen abgebrochen, um Sie zu finden«, fuhr sie fort. »Als Sie neulich mit mir telefoniert haben und ich ihm das Handy nicht geben wollte, hätte er mir fast den Kopf abgerissen.«
Keine Reaktion.
»Was läuft da zwischen Ihnen und Declan?«, erkundigte sie sich behutsam.
»Wir waren zusammen in der Legion«, erklärte er. »Hat er Ihnen davon erzählt?«
Sie nickte.
»In der Legion hat man’s leicht.« Seine Stimme klang jetzt matt und tonlos. »Da sagen sie einem, wann man aufstehen, wann man schlafen gehen und wann man essen muss. Was man anziehen und wen man umbringen soll. Man muss nur zum angegebenen Zeitpunkt am angegebenen Ort sein und keine Fragen stellen. Wir waren lange dabei, die meisten halten nicht so lange durch. Declan war Einzelgänger. Genau wie ich. Hin und wieder quatschten wir miteinander. Viele Worte haben wir nicht gemacht, aber er hat mir den Rücken gedeckt und ich ihm. Einmal zog er mich aus einem brennenden Schiff und schwamm mit mir durch die Nacht, bis uns ein Kutter aufgriff. Ich war ohnmächtig und eine Last für ihn. Als ich von ihm wissen wollte, warum er mich gerettet hatte, meinte er nur, weil ich dasselbe für ihn tun würde. Ich dachte, er wäre genau wie ich, verstehen Sie? Ein wahnsinniger, verrückter Hundesohn, der sonst nirgendwohin konnte.«
Er hob die Augen, die wütend funkelten.
»Wissen Sie, dass er Familie hat? Seine Eltern lieben ihn. Er hat eine Mutter, die ihn vergöttert. Sein Vater glaubt, dass die Sonne auf seinen Befehl auf- und untergeht. Sie sind stolz auf ihn. Er hat auch noch eine Schwester, die genauso vernarrt in ihn ist! Als ich ein Edelmann wurde, habe ich die Familie mal besucht, seine Schwester ist ihm um den Hals gefallen. Er stand da, und im Geist sah ich das ganze Blut, das wir vergossen hatten, an ihm runterlaufen und begriff, dass denen das egal war. Ich hatte die ganze Zeit geglaubt, er sei genauso deprimiert und allein wie ich und würde es nur besser verbergen. Von wegen. Der Bastard hätte die Legion jederzeit verlassen können, und seine Familie hätte ihn wieder aufgenommen und genauso geliebt wie früher. Sagen Sie mir, welcher Hurensohn seine Familie einfach so im Stich lässt?«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Er kann nichts dafür, dass er Familie hat, William«, versetzte sie schließlich.
»Nein. Aber ich kann ihm das nicht verzeihen. Ich habe nichts. Die Kleider am Leib? Gestohlen. Was Sie vor sich sehen, ist alles, was ich habe. Die Legion war alles, was ich hatte, bis man mir die
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