Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
auf den Brettern. Er glänzte dunkelblau. Jack verhielt sich absolut still.
Auf seinen schwarzen Chitinbeinchen watschelte der Käfer über die Holzplanke. Jack straffte sich und folgte ihm mit seinem Blick. Ein hübscher, glänzender Krabbler.
Aus dem Haus näherten sich Schritte: Georgie, der ihm den Spaß verderben würde.
Dann brach der Rücken des Käfers auf und entließ einen luftigen Fächer zitternder, sich sanft entfaltender Flügel. So watschelte er weiter über die Veranda. Jack schlich ihm nach, lautlos und geschmeidig.
»Wir sollen doch drinnen bleiben, Jack«, meckerte Georgie hinter der Fliegengittertür.
Der Käfer stoppte am Ende der Holzplanke, als überlegte er, ob er in das grüne Gras davor springen sollte.
»Hau ab!«, presste Jack durch die Zähne.
Die Flügel des Käfers erzitterten erneut. Dann reckten sich die beiden Hälften seines Rückens wie ein zweites Paar harter, blauer Flügel über seinen Insektenschultern.
»Jack, komm wieder rein! Rose hat gesagt …«
Die Käferflügel legten los, verschwammen, und das Insekt warf sich in die Luft.
Jack sprang.
Er setzte über die Veranda, schnappte mit den Fingern nach dem Käfer und landete mit leeren Händen im Gras. Daneben!
Georgie lief auf die Veranda. »Komm zurück!«
Aber Jack jagte dem Käfer schon hinterher. Der flog zuerst nach links, scherte dann nach rechts aus, ein fettes, summendes Etwas in einem Wirbel sahniger Flügel. Jack sprang so hoch, dass er kurzzeitig zu fliegen schien, dann fing er den Käfer zwischen den Handflächen. »Habdich!«
Scharfe Beinchen stachen ihn in die Haut. Er lachte und spähte durch seine Finger.
»Jack!« Georgies Stimme klirrte wie berstendes Glas.
Plötzlich stieg Jack bitter und streng ein Geruch in die Nase, gefolgt von dem unheimlichen Gefühl, dass ihm etwas Kaltes, Schleimiges in den Nacken tropfte. Er wirbelte herum.
Auf der Wiese stand eine Bestie. Fünf Fuß groß, hielt sie sich auf vier dünnen Beinen, ihren Körper seltsam verdreht, das Haupt Jack zugekehrt. Breite Brust, der Leib dahinter abgemagert, sodass jede einzelne Rippe zu sehen war, bevor der Körper in mächtigen Hinterläufen auslief. Das Biest ähnelte einem Windhund, die Haut wirkte auf den ersten Blick fast schwarz, doch als die Sonne auf seinen Rücken fiel, verwandelte sich die dicke, straff über den Rücken gespannte Schwarte in ein dunkles, rauchiges Purpurrot, das hier und da schwarz und grün schimmerte wie ein schlimmer Bluterguss. Die Bestie besaß kein Fell, lediglich eine Reihe kurzer, spitzer Stacheln an den Beinen und am Rückgrat.
Der Kopf war lang, sehr lang, Ohren gab es keine. Matt grau schimmernd, wie von Scheinwerfern erleuchteter Nebel, starrten zwei schräg stehende Augenpaare Jack an.
Während seiner Streifzüge durch den Wald hatte Jack bereits in die Gesichter schauriger Wölfe, Füchse, Bären und zahlloser anderer, namenloser Lebewesen geblickt, aber keines davon hatte solche Augen gehabt. Grausame Augen. Grausam und gnadenlos wie Alligatoraugen.
Die Wehre würden das Biest in Schach halten. Die Wehre … Jack erkannte die Reihe der Wehrsteine aus den Augenwinkeln – nur ein paar Meter entfernt.
Jack erstarrte.
Vage dachte er an Georgie auf der Veranda. Sein Bruder wich einen kleinen Schritt zurück. Die Bestie hob ein Vorderbein mit einer gewaltigen, in langen Krallen mündenden Pranke, und trat vor.
»Nicht bewegen!«, hauchte Jack.
Georgie stand still wie eine Statue.
Der Käfer entfleuchte Jacks geöffneten Fingern, krabbelte auf seinen Handrücken und setzte zum Abflug an. Jack rührte sich nicht, blinzelte nicht mal. Seine bis zum Äußersten gespannten Instinkte sagten ihm, dass eine einzige Bewegung den Tod bringen würde, also stand er wie versteinert, stocksteif vor Entsetzen.
Die Bestie öffnete ihr Maul, zog die Lefzen zurück und offenbarte schwarze, mit furchtbaren blutroten Fängen gespickte Kiefer. Die vier Augen bannten Jack an Ort und Stelle.
Jack schluckte. Sein Armband wurde heiß, doch wenn er es abnahm und seine Gestalt wechselte, würde ihn die Bestie ganz sicher erwischen. Er musste sich hinter die Wehre zurückziehen. Darin lag seine einzige Chance. Wenn er lief, würde die Bestie mit ihren schlanken, langen Beinen ihn verfolgen – und ihn dank ihrer Schnelligkeit bestimmt einholen und ihm das Fleisch von den Knochen fetzen.
Er bewegte sich ein Stückchen, wich kaum einen Zentimeter über das Gras zurück.
»Da rechts«, rief Georgies zitternde
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