Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
ihre knappe Kasse –, dieses Mal jedoch sorgte sie sich ganz allgemein. Nicht genug, dass sie einem Waldschrat in die Quere gekommen war, jetzt musste sie sich auch noch mit einem Blaublütigen herumschlagen.
Sie hatte Latoya und Teresa von dem Waldschrat erzählt, und beide hatten Entsetzenslaute von sich gegeben. Teresa berichtete, dass sie neulich erst Maggie Brewster über den Weg gelaufen war. Maggie, ein sanftmütiges, schielendes Mädchen, konnte hellsehen. Und Teresa zufolge hatte Maggie behauptet, dass ihnen etwas Schlimmes bevorstünde. Was genau, vermochte sie nicht zu sagen – Teresa glaubte auch nicht, dass sie es wusste –, aber Maggie hätte sich vor Angst fast in die Hosen gemacht.
Maggie hatte sich früher schon geirrt. Vergangenen Oktober hatte sie einen Hurrikan vorhergesagt und war fest davon überzeugt gewesen, dass kein Stein auf dem anderen bleiben würde. Stattdessen gab es blauen Himmel und Juniwetter.
Maggie hatte allerdings auch schon richtig gelegen. Und das machte Rose Sorgen. Es kam ihr vor, als würde sich ein unsichtbarer Orkan zusammenbrauen, und sie bekam gerade die ersten Ausläufer davon ab.
Rose schlug die Wagenklappe zu und schrak zusammen. William stand direkt neben ihr.
»Hi«, sagte er.
Sie schluckte. »Herrgott, haben Sie mich erschreckt.«
»Tschuldigung. Das wollte ich nicht.« Er lehnte sich gegen den Van. »Ich bin bloß gerade auf dem Weg zu einem Job hier vorbeigefahren, habe Sie gesehen und dachte, ich sage mal eben Hallo. Wie geht’s Ihnen?«
»Danke, gut.« Da stand er, gut aussehend und willig, trotzdem blieben romantische Regungen aus. Keinerlei »Herzflimmern«. In gewisser Hinsicht eine befreiende Erkenntnis. Rose lächelte. Sie hatte recht. Sie musste sich nicht mit ihm verabreden.
»Wie war der erste Schultag?«, fragte William.
»Gut.«
Er grinste. »Und man musste Jack nicht an seinem Stuhl festbinden? Er schaut nicht so aus, als könnte er länger als fünf Minuten still sitzen.«
Sie lachte leise. »Er ist ein guter Junge.«
»Das sind sie beide.« Er nickte. »Kann ich Sie irgendwie überreden, mit mir essen zu gehen?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich glaube, das ist keine so gute Idee, Will.«
»Wieso nicht? Es ist ja nicht so, dass ich Sie gleich betatschen wollte.«
Sie sah ihm in die Augen und erkannte einen Anflug desselben 1000-Yard-Starrens, mit dem er Peter Padrake in seinem Comicladen fixiert hatte. Er verbarg diesen Blick, aber er war da, lauerte in ihm. Rose zögerte. Das würde jetzt nicht einfach werden. »Manchmal begegnen sich zwei Menschen, und es entsteht so was wie eine Verbindung zwischen ihnen. Eine spontane Anziehung. Man schaut jemanden an und fragt sich, wie es wohl wäre. Aber bei Ihnen frage ich mich das nicht. Sie sind ein netter, gut aussehender Kerl. Und als solchen würde ich Sie auch gerne mögen, wirklich, aber sonst ist da einfach nichts.«
Er lächelte unentwegt weiter, ein Grinsen wie von einer Plastikpuppe.
»Tut mir leid«, sagte sie weiter. »Klingt schroff, und ich fühle mich auch gar nicht gut dabei, aber ich möchte Ihnen keine Hoffnungen machen …«
»Rose Drayton.«
Die Stimme ließ sie verstummen. Sie fuhr mit zu Fäusten geballten Händen herum. »Brad Dillon«, rief sie, ihre Stimme versprühte Gift.
Brad sah noch genauso aus wie in der Highschool, als sie miteinander gegangen waren. Er hatte sich ein paar neue Tattoos stechen lassen, und seine Nase zierte ein Piercing, aber davon abgesehen war er noch derselbe gute, alte Brad. Er hatte noch dieselben heißen, braunen Augen und dasselbe hübsche Gesicht. Und noch immer sah er so aus, als wollte er gleich jemanden vermöbeln, dieser arrogante Scheißkerl. Sie hatte dieses fiese Grinsen mal für sexy gehalten. Jetzt hätte sie es ihm am liebsten aus dem Gesicht geklatscht.
Ihre Kanone lag in der Einkaufstasche im Wagen, und Brad würde sie da ganz sicher nicht ranlassen. Aber ohne Waffe war Brad hier im Broken im Vorteil. Er war größer und stärker als sie, und Rose hatte ihn oft genug kämpfen sehen, um zu wissen, dass sie allein nicht mit ihm fertig werden würde. Trotzdem dürfte er diesmal nicht so billig davonkommen.
Brad sah William an und maß ihn mit Blicken. »Keine Ahnung, wer du bist, interessiert mich auch nicht. Ich würde nur gern wissen, was du mit meiner Verflossenen treibst.«
Rose wappnete sich. William würde ihm in der nächsten Sekunde eine verpassen und Brad ihm gewiss nichts schuldig bleiben. William
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