Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
hob ihre Hände, die knochigen Finger krümmten sich wie Klauen. »Lasst mich in Ruhe!«
Leanne ging auf ihre linke Hand los, drückte sie beidhändig hinunter. Elsie wollte sie kratzen, doch Amy presste ihr rechtes Handgelenk auf die Armlehne. Elsie schnappte nach ihr, versuchte sie zu beißen, doch Amy stieß ihr die Linke gegen die Brust und hielt sie damit im Stuhl fest. Elsie knurrte und knirschte mit den Zähnen, bekam Amys Arm jedoch nicht zu fassen.
Sie sahen einander an.
»Was jetzt?«, keuchte Amy. »Ich komme nicht an den Knoten, und wenn ich loslasse, kratzt sie uns blutig.«
»Kenny Jo!«, rief Leanne. »Er soll den Knoten aufmachen, dann schleppen wir sie unter die Dusche. Kenny Jo!«
Die Fliegengittertür schlug zu, Kenny Jo rannte durch den Wohnbereich und erschien im Schlafzimmer. Die Glyphen zitterten ein bisschen. Elsie sträubte sich gegen Amys Griff. Aber Kenny Jo war nicht so ein Blindgänger wie Amy. »Lauf weg!«, schrie sie ihm entgegen. »Lauf!«
»Ma?«
»Ich brauche dich …«
Die erste Kreatur trottete hinter dem Sofa hervor und glotzte Kennys Rücken an. Der fuhr herum und wurde weiß wie ein Bettlaken. Das Biest trat vor und wiegte sich auf den Hinterläufen. Kenny taumelte zurück. Sein Mund stand weit offen. Er ächzte, kämpfte, schluckte und kreischte, dass die Fensterscheiben nur so klirrten.
7
Rose dachte erst wieder an ihren Kaffee, als Declan seine Morgengymnastik beendet hatte. Das Getränk war inzwischen kalt. Sie stand auf, um sich eine frische Tasse zu holen, als er, groß, goldblond und beängstigend, mit großen Schritten hereinkam und die Küche in eine Puppenstube verwandelte. Wenigstens hatte er sich sein Hemd wieder angezogen, was sie absolut begrüßte. »Kaffee?«, fragte sie.
Er nickte. »Danke.«
Sie hatte gehofft, er würde erst einmal duschen gehen, wodurch sie ihn aus ihrer Küche gehabt hätte und die Zeit hätte nutzen können, um wieder herunterzukommen.
Aus nächster Nähe stieg ihr sein Geruch in die Nase: Seine lohfarbene, schweißglänzende Haut verströmte ein schwaches Sandelholzaroma sowie einen äußerst männlichen Moschusduft. Nein, nahm sie sich fest vor und machte einen Schritt aus seiner Reichweite. Er sah fantastisch aus, roch wie ein Rauschmittel, und wenn sie jetzt auch noch herausfinden würde, wie er schmeckte, würde sie für einen einzigen Kuss womöglich noch ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Zukunft drangeben.
»Entschuldigen Sie meinen Aufzug«, sagte Declan.
Sein Aufzug war nicht übel, vielen Dank auch. Eigentlich sollte sie lieber einen großen, schwarzen Müllsack holen und ihm das Ding über den Kopf stülpen. Ihr Leben würde so sicher gleich viel einfacher werden. »Kein Problem. Wir legen im Edge keinen gesteigerten Wert auf Etikette und strenge Kleiderordnung.«
Ein Blick blieb an ihrer Blitzblank-Uniform hängen. »Warum tragen Sie das?«
»Das ist meine Uniform. Alle in meiner Firma tragen die.«
»Sie ist grässlich.«
Rose spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten. Natürlich war die neongrüne Uniform grässlich, aber das musste er ihr ja nicht unbedingt unter die Nase reiben. Sie öffnete den Mund.
»Sie sehen trotzdem sehr hübsch aus«, sagte er.
»Mit Schmeicheleien kommen Sie bei mir nicht weit«, teilte sie ihm mit.
»Das ist nicht geschmeichelt«, sagte er unterkühlt. »Um zu schmeicheln, muss man übertreiben. Ich konstatiere nur eine Tatsache. Sie sind eine schöne Frau, die ein unansehnliches Monstrum in einer unnatürlichen Farbe trägt.«
Rose starrte ihn an, nicht sicher, was sie davon halten sollte. War das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung? Da sie zu keinem Schluss kam, beschäftigte sie sich nicht weiter damit.
»Übrigens ist es üblich, Übernachtungsgästen ein Frühstück anzubieten«, sagte er.
»Dann hoffe ich, Sie mögen Mini-Wheats. Was anderes haben wir nämlich nicht.«
Sie nahm eine Schachtel Frühstücksflocken vom Küchenbord und füllte zwei Schüsseln. »Ich wollte Ihnen noch für Jacks Rettung danken. Und dafür, dass Sie bei den Jungs geblieben sind und ihnen Pfannkuchen gemacht haben.«
»Ich habe nur getan, was jeder Ehrenmann tun würde«, sagte er.
»Trotzdem weigere ich mich, mit Ihnen mitzugehen.« Sie goss Milch über die Frühstücksflocken und schob ihm eine der beiden Schüsseln hin.
»Ist angekommen.« Er hielt inne, als denke er nach. »Die Jungen sind sehr tapfer.«
»Danke.«
Sie nahm ihm gegenüber Platz und sah ihn
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