Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
fragte sich Rose. »Und wieso?«
»Das ist leicht. Sie haben Appetit auf Magie.«
»Ich hole lieber eine Schaufel. Besser, wir vergraben das Mistding.«
»Wer hat Ihnen das Blitzeschleudern beigebracht?« Er fragte in einem Ton, als würde er mit einer Lüge rechnen.
»Niemand. Ich habe das jahrelang geübt. Mehrere Stunden am Tag. Mach ich immer noch, wenn ich Zeit dazu habe.«
Declan schaute ungläubig.
»Gucken Sie nicht so überrascht«, ermahnte sie ihn. »Schon vergessen, ich bin das Mädel aus dem Edge mit den weißen Blitzen? Der Anlass für Ihren Ausflug in diese schreckliche, gottverlassene Gegend, wo Sie sich mit ungewaschenen Bürgerlichen abgeben müssen.«
»Ich wusste, dass Sie weiße Blitze schleudern. Aber ich hatte keine Ahnung, wie treffsicher Sie sind.«
»Sie sind treffsicher. Sie haben sogar meinen Blitz abgelenkt.«
»Schon, aber dabei hatte ich eigentlich gar nicht auf den Blitz gezielt, ich habe lediglich einen weißen Magiepuls wie einen Schutzschild vor meinen Körper projiziert. Damit hätte ich einen Blitz so gut wie zehn ablenken können.«
»Oh, super, schönen Dank für den Tipp! Jetzt ist mir klar, wie Sie’s angestellt haben.«
Sie sahen einander an.
»Wie treffsicher genau sind Sie denn?«, wollte er wissen.
Sie schenkte ihm ein verschlagenes Edger-Lächeln. »Haben Sie eine von Ihren Golddublonen dabei?«
Er griff in seine Tasche und zog eine Münze heraus.
»Ich schlage Ihnen einen Handel vor. Sie werfen die Münze in die Luft, und wenn ich sie mit meinem Blitz treffe, gehört sie mir.«
Declan betrachtete die Dublone. Die Münze war ein wenig größer als ein Vierteldollar aus dem Broken. Er warf sie hoch über seinen Kopf, die Dublone wirbelte durch die Luft, fing das Sonnenlicht ein, leuchtete funkenhell … und fiel, getroffen von einem dünnen, weißen Blitzstrahl, ins Gras.
Declan fluchte.
Sie grinste, hob die noch heiße Münze auf, blies darauf und hielt sie ihm hin, um ihn ein bisschen auf den Arm zu nehmen. »Lebensmittel für zwei Wochen. War mir ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen.«
»Ich kenne nur eine Frau, die dazu fähig wäre«, sagte er. »Und die war Blitzwerferin in unserer Einheit. Wie machen Sie das, ohne dafür ausgebildet zu sein?«
»Haben Sie das Blitzeschleudern gelernt?«, fragte sie.
»Ja.«
»Warum?«
»Weil es die beste verfügbare Waffe ist, und weil ich sie beherrschen wollte. Und weil jeder in meiner Familie Blitze schleudern konnte. Als Edelmann musste ich die Familienehre verteidigen.«
»Dann hatte ich einen besseren Grund als Sie«, entgegnete sie. »Als ich dreizehn war, kamen die Eltern meiner Mutter bei einem Hausbrand ums Leben. Großvater Danilo hatte immer schon geraucht wie ein Schlot, im ganzen Haus lagen seine Zigarettenstummel herum, und eines Abends qualmte er eine zu viel. Keiner überlebte das Feuer, nicht mal die Katze meiner Großeltern. Ihr Tod brach meiner Mutter das Herz. In gewisser Hinsicht ist sie damals selbst gestorben, bloß ihr Körper lebte danach noch weiter. Sie fing an, mit jedem ins Bett zu gehen, und hörte nicht wieder damit auf. Sie trieb’s mit jedem, der’s mit ihr treiben wollte. Verheiratet, blind, verkrüppelt, verrückt, ihr war alles gleich. Sie meinte, nur so würde sie sich lebendig fühlen.«
»Das tut mir leid«, sagte er. »Muss sehr schmerzlich für Sie gewesen sein.«
»Spaß hat’s jedenfalls keinen gemacht. Die Leute beschimpften meine Mutter vor meinen Augen als Flittchen. Leanne, die Ihnen die Klamotten geliehen hat, wissen Sie noch? Leanne trieb mich in der Schule vor sich her und rief mich Hurenkind. Einmal schrieb sie das Wort mit Riesenbuchstaben auf meinen Spind. Na ja, Sie waren der Sohn eines Edelmanns, gut aussehend, wohlhabend, allenthalben beliebt. Ein armer, kleiner reicher Junge, ich dagegen war die Tochter einer Hure, abgebrannt, unansehnlich und überall verhasst. Ich hatte jede Menge Gründe, gute Blitze zu schleudern. Am liebsten hätte ich meine Blitze der ganzen Welt um die Ohren pfeifen lassen, um allen zu zeigen, dass ich wenigstens zu irgendwas taugte.«
»Und wie ging es für Sie aus?«
»Nicht so gut«, gab sie zu. »Aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, mit meinen Blitzen herumzuspielen. Ich habe mir einen ganzen Haufen lustige Tricks beigebracht.«
»Aha.« Declan deutete auf den Baum. »Ein Doppelschlag.«
In zwei gleichmäßigen Strömen, die tief durchs Gras glitten und sich dann vor dem Baum in einer leuchtenden
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