Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
ihn gestorben.«
»Warum?«
»Weil er dasselbe für mich getan hätte«, antwortete Declan.
»Gegen wen haben Sie gekämpft?«
Declan zuckte die Achseln. »Gegen das Gallische Königreich. Das Spanische Imperium. Die LUGROM .«
»Was ist die LUGROM ?«
Declan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wolle er sich die Erinnerung aus der Haut reiben. »Luzifers Großmacht. Eine religiöse Sekte, die nach der Weltherrschaft strebt, auf die sie mit schrecklichen Mitteln hinarbeiten. In Adrianglia wimmelt es von Flüchtlingen zahlreicher vergangener und gegenwärtiger Konflikte. Manche begehen verabscheuenswürdige Verbrechen, die zu ahnden außergewöhnliche Maßnahmen erfordert. Einer dieser Einsätze lief aus dem Ruder, und mein Freund beging den Fehler, sich wie ein Mensch zu verhalten.«
»Was ist passiert?«
»Es ging um einen Staudamm, den eine kleine Verbrecherbande besetzt und die Arbeiter als Geiseln genommen hatte. Sie drohten, alles in die Luft zu jagen, um die Ortschaft unterhalb der Staumauer zu überfluten. Der Staudamm war schon sehr alt und eine Art Labyrinth. Alle, die sich dort auskannten, wurden auf dem Gelände gefangen gehalten. Mein Freund sollte reingehen, weil er Gestaltwandler war und sich daher auf seinen Geruchssinn verlassen konnte. Unsere Vorgesetzten zählten darauf, dass der Verstand die Oberhand behalten würde, wenn mein Freund eine moralische Entscheidung treffen musste. Für den Fall, dass das Leben der Geiseln gegen die Sicherheit des Staudamms stehen würde, erhielt er die Anweisung, sich für die Unversehrtheit der Anlage zu entscheiden. Denn wenn der Damm brach, wäre die Zahl der Todesopfer womöglich erheblich größer als die der sechs im Innern festgehaltenen Menschen.
Er spürte die Geiseln auf, aber die Verbrecher stritten sich inzwischen untereinander. Einer von ihnen wollte die Sprengladung zur Explosion bringen. Mein Freund hatte die Wahl: Er konnte sich entweder um die Sprengladung kümmern oder die Geiseln befreien. Da überkam ihn, wie er selbst meinte, ein Anfall von Menschlichkeit, und er rettete die Gefangenen. Der Staudamm brach, die Stadt wurde überflutet. Wider Erwarten forderte die Flutwelle keine Todesopfer, aber der finanzielle Schaden war gewaltig. Also wurde er vors Kriegsgericht gestellt.«
»Weswegen? Weil er Menschenleben gerettet hatte?«
»Wegen Befehlsverweigerung. Er wurde zum Tode verurteilt.«
»Obwohl niemand verletzt worden war.«
»Das tat nichts zur Sache.« Declan setzte eine mitleidlose Miene auf. »Sehen Sie, er sollte im Grunde nicht wegen Befehlsverweigerung hingerichtet werden, sondern weil er als Gestaltwandler unzuverlässig war. Man hatte ihn zu einer Mordmaschine gemacht, auf die man gerne zurückgriff, solange er sich haargenau an die Anweisungen hielt. Doch nun war er mit einem Mal unberechenbar geworden.«
»Man wollte ihn also einschläfern wie ein Tier? Was für ein Land macht denn so etwas?«
»Er stand unter der Vormundschaft des Reiches, und das Reich fürchtete sich vor dem, was er als Nächstes tun könnte. Niemand wollte die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit übernehmen.«
»Haben Sie versucht, ihm zu helfen?«
»Ja. Ich nahm meinen Abschied und bekannte mich zu meinem Titel, denn als Peer hatte mein Wort größeres Gewicht. Ich reichte Bittgesuche ein, versuchte meinen Einfluss geltend zu machen; ich argumentierte, dass ein einfacher Soldat an seiner Stelle niemals die Todesstrafe erhalten hätte.«
Er hatte seine militärische Laufbahn geopfert, um seinem Freund das Leben zu retten, und er erzählte davon ohne jede Großspurigkeit, als sei dies das einzig Richtige und als müsse man keine Sekunde darüber nachdenken. Zehn Jahre seines Lebens, denen er für das Wohl eines anderen den Rücken kehrte. Nicht viele Menschen würden so handeln. Sie war sich nicht mal sicher, ob sie selbst dazu fähig wäre. Das war schon bewundernswert.
Rose biss sich auf die Unterlippe. »Haben Sie ihn gerettet?«
»Nein, ich habe versagt.«
Er sagte das mit beispielloser Bitterkeit. Seine Augen wirkten mit einem Mal, als seien sie von einer Ascheschicht überzogen, und blickten traurig in die Ferne. Sie hätte ihn jetzt gerne berührt. Um es irgendwie besser zu machen.
»Im letzten Moment adoptierte Casshorn, der Bruder des Herzogs der Südprovinzen, meinen Freund und übernahm die volle Verantwortung für seine Taten. Da Casshorn kinderlos war und dem Hochadel angehörte, berief er sich auf seine
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