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Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Titel: Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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    Kaldar erstarrte.
    Seine Fantasie zeigte ihm ein Bild von Audrey, der lustigen, wunderschönen Audrey, wie sie tot an einem Ast baumelte. Oder, schlimmer noch, in Stücke geschnitten. Oder bei lebendigem Leib gehäutet. Die Sorge traf ihn mit eisiger Faust in die Magengrube. Die Hand würde Audrey töten. Ermorden. Sie war zwar höllisch klug und gerissen, aber die Hand kannte einfach zu viele Wege, Rache zu üben, während Audrey über die Hand so gut wie nichts wusste.
    Kaldar tigerte über den Balkon. Sie würde sterben. Kein strahlendes Lächeln mehr. Kein Lachen mehr. Kein verschmitztes Zwinkern, keine weit aufgerissenen Augen. Er lebte an einem bitterkalten Ort, in tiefer Dunkelheit, in der er auf Rache an der Hand für ihre vergangenen und zukünftigen Missetaten sann. Audrey glich einem Sonnenstrahl in seiner Mitternacht. Sie hatte ihn aus der tiefen Grube, in der er sich vergraben hatte, an einen Ort geholt, an dem er lachen konnte und an dem seine Heiterkeit und sein Humor echt waren, so lange sich Audrey in seiner Nähe aufhielt.
    Die Hand würde dieses Licht auslöschen.
    In einer Welt, in der Audrey existierte, konnte er leben, auch dann, wenn diese Welt weit von ihm entfernt war. Er hatte nie viel davon gehalten, aufrecht zu leiden, trotzdem mochte er sich damit abfinden, ohne sie zu leben, wenn er nur wusste, dass sie irgendwo glücklich war. Die Hand würde sie ihm keinesfalls wegnehmen. Die Hand hatte ihm bereits zwei Drittel seiner Familie genommen, sie hatte Murid umgebracht, und er wollte verflucht sein, wenn er zuließ, dass sie auch Audrey abschlachtete, während er wie ein feiger Hund mit eingeklemmtem Schwanz im Zwielicht kauerte.
    Er liebte Audrey. Das erkannte er nun. Klar und deutlich. Er würde alles dafür geben, dass sie in Sicherheit war. Aber das konnte er nur, wenn er immer ganz genau wusste, wo sie sich aufhielt. Und wenn er sie dafür heiraten musste, würde er sie eben heiraten. Er würde respektvoll und verantwortungsbewusst und alles andere sein, bei dem sich ihm der Magen umdrehte. Wenn er wusste, dass sie sicher und zufrieden neben ihm aufwachen würde, wäre es das wert.
    Kaldar blieb stehen. Damit war es also beschlossen. Er würde Audrey heiraten.
    Jetzt musste er sie nur noch dazu bringen, die Dinge aus seinem Blickwinkel zu betrachten.
    Die Kirche lag verlassen, die Türen standen weit offen. Helena marschierte hindurch, der Rest ihres Teams folgte ihr leise, ängstlich darauf bedacht, keinen Lärm zu machen. Im Innern begrüßten sie umgekippte Bänke und gesplittertes Holz. Übelkeiterregender, süßlicher Verwesungsgestank stieg ihr in die Nase. Von der Bühne und der Kanzel am anderen Ende des Gebäudes stieg dünner Rauch auf, das Holz war verkohlt. Rechts davon lag ein verbogener Gegenstand aus kantigem Metall und verbranntem Gummi – eines der im Broken üblichen Fahrzeuge, bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Darüber und ein Stück weiter links schwebte der stechende, bittere Geruch von Cotiers explosiven Pfeilen in der Luft. Ihre Augen fanden einen auf dem Kirchenboden liegenden Pfeil. Dann noch einen. Und noch einen. Mindestens ein Dutzend Geschosse bildeten einen Kreis um einen feuchten Fleck. Die Ladung eines einzelnen Pfeils hätte genügt, eine mittelgroße Kutsche zur Explosion zu bringen.
    Helena hob den Blick. Cotiers Leiche baumelte kopfüber von den Dachsparren. In seiner Stirn klaffte ein großes Loch, das dazu passende kleinere Loch zeigte sich knapp über dem Hals im Hinterkopf. Er musste den Schuss kommen gesehen und sich schützend zusammengekrümmt haben. Die Kugel hatte den Hinterkopf getroffen, sein Gehirn zu Mus verarbeitet und war dann an der Stirn wieder ausgetreten. In den Stunden danach waren Hirnmasse und Blut auf den Fußboden getropft.
    Jetzt senkte Helena den Blick. Zwölf, dreizehn, vierzehn Pfeile, die kein physisches Hindernis hätte aufhalten können. Nur Magie hätte dem standgehalten. Irgendwer auf Kaldar Mars Seite konnte einen Wahnsinnsblitzschild erschaffen.
    Helena drehte sich um. Hinter einem Haufen Bänke lugte ein verräterisch orangerotes Bein hervor. Sie trat darauf zu. Eine diagonal geteilte Leiche, übersät mit toten Fliegen, die Muras giftiges Blut dahingerafft hatte. Der Schwerthieb – falls es einer gewesen war – hatte die linke Schulter, den Brustkorb, das Herz, den Magen und die rechte Flanke gespalten. Ein vollkommener, sauberer Schnitt, die Knochen flach gekappt. Karmash hatte erwähnt, dass die Mars eine

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