Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Schritte, dass er die Treppe hinunterlief.
Kaldar starrte wieder in den Mond, der schön und gleichgültig zurückleuchtete. Der Mond war überall derselbe, hier, über irgendeinem Flüsschen im Broken oder zu Hause im Moor, wo er über dunklen Zypressen stand und von Ervaurgs besungen wurde. Früher hatte Kaldar auf dem Balkon des alten Mar-Hauses gehockt und den Mond betrachtet. Dank der Hand war sein Zuhause nun verwaist. Keiner von ihnen würde jemals dorthin zurückkehren.
Doch er vermisste das Moor weniger als gedacht. Die Familie hatte in Adrianglia ein neues Haus am Rand der Roten Sümpfe gebaut. Sie waren anders als das Moor, trotzdem fühlten sie sich dort zu Hause. Er hatte sich ebenfalls ein Haus gebaut, nicht weit von dem der Familie entfernt, am Ufer eines ruhigen Stroms. Es war nicht riesig – vom Lohn des Spiegels konnte er sich keinen Palast kaufen, und da der Architekt Bargeld sehen wollte, hatte der Kauf seine Bankkonten gesprengt –, aber groß genug und gemütlich. Wenn am Spätnachmittag die Sonne durch die Wohnzimmerfenster schien, sah es aus, als würden der polierte Fußboden und die Holzwände glühen.
Bis auf einen Schaukelstuhl auf der Veranda war er noch nicht dazugekommen, sein Haus einzurichten. Aber immerhin besaß er eins. Zumindest was das anging, hatte sie sich geirrt.
Kaldar schloss die Augen und stellte sich in seiner Küche eine Frau vor. Sie lachte, drehte sich um, und da erkannte er, dass es Audrey war.
Aber er konnte Audrey nicht haben. Er musste sich eine andere Fantasie ausdenken.
Audrey lächelte ihn aus der Küche an.
Sie waren das perfekte Paar. Fleisch von einem Fleisch. Sie verstand ihn. Oh ja, sie verstand ihn viel zu gut. Sie wusste ganz genau, wie es zwischen ihnen laufen würde, und sie hatte sich dagegen entschieden. Und hatte recht damit. Hundertprozentig. Er war ein Schurke und würde sie benutzen. Solange es dauerte, würden sie die beste Zeit ihres Lebens haben, aber er würde sich nicht einfangen lassen, und sie ließ es klugerweise gar nicht erst darauf ankommen.
Es hieß, dass es so etwas wie Ganovenehre gab, aber das stimmte nicht. Aber das zwischen ihm und Audrey war Ehrensache. Na ja, mal abgesehen von der Sache mit dem Kreuz, die sie ihm ziemlich übel genommen hatte. Sie hätte ihn auf den Arm nehmen, ihn verführen und in ihr Bett zerren können – dazu wäre nicht allzu viel erforderlich gewesen. Er würde Berge versetzen, um sie noch einmal zu schmecken, und dann, wenn er sich erst mal in Sicherheit und glücklich wähnte, hätte sie versuchen können, ihn mit Schuldgefühlen einzufangen. Die meisten Männer heirateten, weil es ihnen da, wo sie sich befanden, gefiel, den Befreiungsschlag zu wagen war viel zu anstrengend und unerfreulich. Sie ließ sich gar nicht erst darauf ein. Nein, sie sagte ihm mitten ins Gesicht, dass er nicht gut genug für sie war.
Und warum? Was er machte, machte er gut. Er war der beste Dieb, hatte sie gesagt. Der beste Schwertkämpfer, der aufregendste Mann, der ihr jemals begegnet war. Der geniale Schwindler. Genial. Sie hatte ihm gesagt, er sei besser als ihr Vater. Es kam nicht oft vor, dass eine Frau so etwas äußerte.
Natürlich konnte er für sie sorgen. Zwar hatte er niemals vorgehabt zu heiraten, aber wenn er es doch tat, würde es seiner Frau an nichts fehlen. Schließlich war er ein Mar. Und die Mars sorgten für ihre Familien.
Außerdem würde Audrey niemals zu Hause bleiben und Kuchen backen, sondern darauf bestehen, ihn zu begleiten. Sie würden ein unschlagbares Team abgeben. Was sie alles zusammen erreichen konnten … die Versuchung, darüber nachzudenken, war fast zu groß. Audrey verstand nicht nur, was er im Schilde führte, sie war auch dazu fähig, spontan umzusteuern. Sie hatte kein Problem damit, unter Druck zu improvisieren, und, da mochte man über ihre Abneigung gegen Gewalt sagen, was man wollte, wenn es hart auf hart kam, blies sie dem Feind das Hirn aus dem Schädel. In ihrer Welt würde es keine verschlossenen Türen geben. Ein unendlicher Spaß.
Kaldar stieß sich vom Geländer ab. Leider würde ihre Zusammenarbeit enden, sobald sie die Diffusorarmbänder wiederbeschafft hatten. Das war schließlich der Sinn der Übung. Wohin würde sie anschließend gehen? Ihr alter Job und ihre Identität im Broken waren verbrannt. Also musste sie ganz von vorne anfangen. Und das in aller Stille. Wenn sie das hier durchzogen, würde Helena d’Amry sie für den Rest ihres Lebens jagen
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