Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
wenn Sie können.«
»Wenn ich kann, hm.« Der Mann verdrehte die Augen und ging auf sie los.
Sie führte die Klinge über seinen Arm, zerschnitt den schweren, aufgerollten Stoff des Sweatshirts. Der Ärmel färbte sich rot. Audrey zog zurück und führte den nächsten Hieb. Doch irgendwie traf sie nicht richtig. Seine Finger umschlossen ihr Handgelenk, sie rammte ihm die Knöchel gegen den Hals. Er stolperte rückwärts, wich seitwärts aus und nahm eine Art Kampfstellung ein.
Schlangengleich schoss seine Linke vor. Zu schnell. Der Schlag traf ihre Schulter. Er schlug noch mal zu, eine schnelle Kombination, links, rechts, links. Sie warf sich den Hieben entgegen, um nach Möglichkeit seinen Unterarm aufzuschlitzen. Wenn er genug Blut verlor …
Seine Finger hielten ihr Handgelenk wie eine Stahlklammer. Audrey holte aus, doch er erwischte ihren anderen Arm, trat vor, trieb sie zurück und brachte sie zu Fall. Sie wusste genau, was er tat, konnte ihn aber nicht daran hindern. Im nächsten Moment war er über ihr und drückte sie gegen die Holzbohlen.
»Mal sehen«, begann er. »Bisher haben Sie mir den Taser verpasst, mich an einen Stuhl gefesselt, auf mich geschossen, mich aufgeschlitzt und verdroschen. Habe ich irgendwas vergessen?«
Sie stemmte sich gegen ihn, versuchte ihn abzuwerfen, doch er war mindestens sechzig Pfund schwerer als sie, und jedes dieser Pfunde schien aus Stahl zu bestehen, da er keinen Millimeter nachgab.
»Habe ich Ihnen irgendwas getan? Sie bedroht?«
Sie wollte ihn treten, doch er klemmte ihr Bein zwischen seinen Oberschenkeln ein.
»Ich möchte mich mit Ihnen nur wie unter zivilisierten Menschen unterhalten, Audrey. Werden Sie mir die Augen ausstechen, wenn ich Sie loslasse?«
»Kann schon sein.«
Sein Gesicht war zu nah, seine Augen blickten direkt in ihre. Sie suchte darin nach Grausamkeit, erwartete einen Schlag in den Bauch oder ins Gesicht, fand aber nichts. Er war stinksauer, aber ihm fehlte jene eiskalte, reptilienartige Coolness, die sie von Alex’ Drogenhändlern kannte.
Sie atmete schwer. Genau wie er. Höchste Zeit, Schluss zu machen, bevor er auf dumme Gedanken kam. Audrey riss den Kopf hoch und knallte ihm die Stirn vor die Nase.
»Scheiße noch mal, Weib, ich habe doch gesagt, dass ich nur reden will.«
Sein Akzent kam durch, und sie bemerkte es. »Louisiana.« Oh, Mist.
»Was?«
»Sie kommen aus Louisiana. Von der Hand.«
»Ich komme aus dem Moor. Im Edge.« Sein silberner Ohrring lief in einem tropfenförmigen Spiegel aus. »Und ich arbeite für die andere Seite.«
Sie straffte sich und wollte ihre Arme losreißen. »Das ist doch eins wie’s andere.«
Ein Räuspern ließ beide herumfahren. Ein Junge trat hinter dem Baum am anderen Ende der Rasenfläche hervor. In seinem blonden Haar spielte ein verirrter Sonnenstrahl, der durch die dichte Wolkendecke brach. Der Skaterpunk vom Parkplatz.
Was um alles in der Welt …?
Der blonde Junge rief: »Es tut mir schrecklich leid, aber könnten wir vielleicht den Käfig von der Veranda haben? Wir werden eure Tändelei auch nicht weiter stören.«
Tändelei ?
Da tauchte ein zweiter Junge auf, der ein zerzaustes, graues Geschöpf im Genick gepackt hatte. »Ihr könnt ruhig weiter knutschen«, rief er. »Wir wollen bloß den Käfig. Dieses Waschbärweibchen ist echt schwer zu packen, und leiden kann sie mich auch nicht.«
Sie hatten Ling und dachten, dass sie und dieser Schwachkopf auf der Veranda gerade übereinander herfielen. »Runter von mir, Sie Blödmann!« Audrey wand sich. »Runter, runter, runter!«
Der Mann ließ sie los, und sie stemmte sich auf die Beine. »Lasst meinen Waschbären los!«
Der zweite Junge sah den Mann neben ihr an. Audrey tat es ihm gleich. Er hielt sein Messer in der Faust. Sie hatte nicht gesehen, dass er es genommen hatte. Auch sein »unwiderstehliches« Grinsen war wieder da.
»Sagen Sie denen, sie sollen meinen Waschbären loslassen.«
In seinen Augen funkelte es böse. »Tauschen wir den Waschbären gegen ein paar Antworten.«
»Schön«, knirschte sie.
»Lasst das kleine Biest laufen«, rief er. Der Junge ließ Ling fallen, und sie flitzte über den Rasen und versteckte sich fauchend und spuckend hinter Audreys Beinen.
»Mein Name ist übrigens Kaldar«, sagte der Mann.
»Kein Interesse«, beschied Audrey ihm. »Wir führen ein streng geschäftliches Gespräch. Wenn Sie auch nur um Haaresbreite davon abweichen, tue ich Ihnen weh.«
Er warf den Bogen weg. »Womit? Ich
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