Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
wollte. Der Kerl lauerte mir auf, als ich ins Edge zurückkehrte. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht so viel Angst.«
Das war’s also. Kaldar biss die Zähne zusammen. Wie konnte man die eigene Schwester verkaufen? Wie konnte jemand Audrey verkaufen? Audrey, die Schöne, diesen Sonnenschein. Sein Verstand kam da vielleicht mit, aber der Teil von ihm, der Bruder war und Onkel, schäumte bei dem Gedanken daran. So etwas tat man einfach nicht.
Im Moor hätte er Alex Callahan wie einen tollwütigen Hund abgeknallt.
»Der Drogenhändler hat mir alles abgenommen, was ich dabeihatte«, fuhr sie fort. »Und anschließend meinte er, wenn ich nicht noch mehr Drogen für ihn stehlen würde, würde er mich vergewaltigen und umbringen. Also habe ich Ja gesagt. Er brachte mich in eine üble Gegend zu einer Drogenküche, die irgendeiner Bande gehörte. Ich schlich mich rein, klaute die Drogen und gab sie ihm. Danach schlug er mich zusammen. Nach dem ersten Schlag fiel ich hin, dann trampelte er eine Zeit lang auf mir herum und brach mir zwei Rippen. Mein Gesicht war monatelang verwüstet. Trotzdem bin ich noch glimpflich davongekommen.«
»Was für ein Scheiß«, meinte George.
Es irritierte sie, dass er einen solchen Kraftausdruck verwendete. Audrey räusperte sich. »Als ich wieder zu Hause war, habe ich meinen Eltern davon erzählt. Mein Gesicht war grün und blau geschlagen. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich es verbergen können. Meine Eltern haben nichts unternommen. Seit der Nacht wusste ich, dass ich abhauen musste. Von da an habe ich mein Geld gespart. Ich musste meine Ersparnisse sehr gut verstecken, weil Alex sehr gut darin war, jedes bisschen Geld zu finden, das wir besaßen. Ich habe sogar manchmal ein paar Dollar irgendwo liegen lassen, damit er sie findet und nicht weiter nach meinem eigentlichen Versteck sucht. Hier …« Sie griff in ihre Tasche und zog das Kreuz daraus hervor. »Das hat meiner Großmutter gehört. Sie hat es mir gegeben, als ich noch klein war. Ich habe es mir von dem Drogenhändler wiedergeholt, nachdem ich mich entschieden hatte abzuhauen. Fast zwei Jahre hat es gedauert, dann war ich endlich weg.«
»Und was ist mit Ihrer Mutter?«, wollte Jack wissen.
Kaldar schüttelte den Kopf. George benötigte dringend mehr Erfahrung. Bei einem Gespräch wie diesem durfte man nicht drängen, sonst würde Audrey vielleicht ganz zu reden aufhören.
»Meine Mutter mochte schöne Dinge«, antwortete Audrey. »Wir zogen häufig um, und an jedem neuen Ort pflanzte sie Blumen und hing hübsche Vorhänge auf. Ihr gefielen auch Schmuck, Schminke und schöne Kleider. Sie machte sich jeden Morgen so hübsch sie konnte zurecht – kämmte sich die Haare, legte Kriegsbemalung auf. Sie hat noch die letzte Bruchbude fleckenlos auf Vordermann gebracht, Blumen gepflanzt und uns Bilder stehlen geschickt, um damit die Löcher in den Wänden zu verdecken. Sie hat immer dafür gesorgt, dass ich saubere Sachen am Leib hatte, meine Haare waren stets gut frisiert, und ich war perfekt geschminkt. Aber mit Krisen oder schlimmen Dingen wurde sie überhaupt nicht fertig. Sie tat dann einfach so, als wäre gar nichts. Als Alex in der Gosse landete, wurde es echt schlimm. Sie überließ ihm einfach ein Zimmer, während der Rest des Hauses so perfekt blieb wie vorher auch.«
»Dann war sie keine große Hilfe?«, meinte George.
»Nein. Sie hat mich erst wieder beachtet, als mein Gesicht heil war. Nachdem ich endlich genug Geld für meinen Abgang zusammenhatte, lief ich davon, so weit ich konnte, und machte mich daran, mir ein eigenes Leben aufzubauen. Mein Haus war in drei Monaten fertig, danach habe ich ein halbes Jahr lang überhaupt nichts getan. So glücklich war ich. Mit mir allein, in meinem kleinen Haus. Dann fing ich zu arbeiten an, um Geld für den Führerschein zu verdienen. Ich kaufte mir ein Auto und fand eine angenehmere Arbeit. Ständig besserte ich irgendwas am Haus aus. Ich war jahrelang vollkommen glücklich, doch dann tauchte mein Vater auf. Im ersten Moment dachte ich, er wäre gekommen, um sich bei mir zu entschuldigen, aber nein, er wollte bloß, dass ich wieder mal für Alex ein Ding drehte. Also habe ich ihm gesagt, dass er mich entweder dazu bringen könnte, zum letzten Mal etwas für ihn zu tun, oder dass er weiter eine Tochter haben könnte. Na ja, wir wissen ja alle, wofür er sich entschieden hat.«
»Das tut mir leid«, sagte George.
»Danke«, gab Audrey zurück. »Ich habe dir das
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