Land der Sehnsucht (German Edition)
gesucht.
Sein Blick blieb an dem Grab zu ihren Füßen hängen und an dem frisch ausgerissenen Unkraut. Er nahm an, dass sie das Grab sauber gemacht hatte. Warum sie das getan hatte, wusste er nicht genau. Aber er vermutete, dass es mit ihrer Mutter zu tun haben musste. Oder vielleicht mit ihrem Vater.
Véronique trug ihr Baumwollkleid, das sie sich für die Ausflüge in die Bergarbeiterstädte gekauft hatte, statt ihre gewohnte elegante Kleidung, und nach seinem Gespräch vor wenigen Minuten mit Mrs Rawlings in der Bäckerei verstand er auch den Grund dafür.
Als Mrs Rawlings ihm die Szene schilderte, die sich am Samstagmorgen im überfüllten Kolonialwarenladen abgespielt hatte, wäre er am liebsten schnurstracks zum Laden marschiert und hätte Mrs Hochstetler den Hals umgedreht. Dieses alte nörgelnde Schlachtschiff! Die Frau hatte zwar Grund, frustriert zu sein, aber ihr Umgang mit der Situation war in seinen Augen absichtlich bösartig und gemein gewesen.
Die Verletzung, die er nun bei Véronique spürte, zeigte ihm, dass Mrs Hochstetler ihr Ziel erreicht hatte.
Wenn Véronique ihn doch nur anschauen würde!
Jack überlegte, wo er anfangen und wie er ihr sagen sollte, dass er Bescheid wusste. Schließlich öffnete er den Mund, schloss ihn aber schnell wieder, als sie seine Hand an ihre Lippen hob.
Véronique küsste seinen Handrücken – einmal, zweimal – dann drückte sie seine narbige Handfläche an ihre feuchte Wange.
Gefühle, die tief in ihm vergraben waren, traten unerwartet an die Oberfläche und Jack hatte Mühe, sie im Zaum zu halten. Keine Worte, die sie hätte sagen können, hätten ihn tiefer gerührt als diese Geste.
Nach einem Moment ließ sie seine Hand sinken, hielt sie aber weiterhin fest. „Wie lange ist das her?“
„Fünfzehn Jahre.“ Das Plätschern des Baches hinter ihnen füllte die Stille. „Eine halbe Ewigkeit“, flüsterte er. „Ich stand oft kurz davor, es dir zu sagen, aber … ich habe es einfach nie gemacht.“
„Ich würde gern mehr über sie erfahren, s’il vous plaît. Wenn du mir von ihnen erzählen willst …“
Ihr Mitgefühl erstaunte ihn. Trotz allem, was sie selbst durchgemacht hatte, galten ihre Gedanken ihm. „Das will ich sehr gern, Véronique.“ Er wischte die Tränen aus ihrem Gesicht und war mehr denn je überzeugt, dass das, was er für diesen Abend auf Casaroja geplant hatte, ihre Stimmung heben würde. Wenn er sie nur dazu bringen konnte, mitzukommen! „Aber würde es dir etwas ausmachen, wenn wir dieses Gespräch im Wagen fortsetzen?“ Er wand sich innerlich, als ihm bewusst wurde, dass dies nicht gerade der feinfühligste Übergang mit ihr war. „Vergiss nicht, Miss Maudie erwartet uns, und ich muss noch Waren abliefern.“
„Es ist mit Ihnen immer das Gleiche, Monsieur Brennan.“ Ein schwaches Lächeln legte sich um ihre Lippen. „Müssen wir denn jede Minute zusammen in diesem Wagen sitzen?“
Er hörte den neckischen Unterton in ihrer Stimme, sah aber auch die Müdigkeit in ihren Augen. „Nicht jede Minute, Madam. Aber im Moment wartet eine kleine irische Dame auf ihre Lieferung. Und ich weiß, dass sie sich freuen wird, dich auch zu sehen.“
Als sie nickte, legte Jack behutsam eine Hand auf ihren Rücken und sie gingen gemeinsam zum Wagen zurück.
Während er die bekannte Strecke nach Casaroja fuhr, erzählte er ihr von Mary und Aaron, von ihrem gemeinsamen Leben, vom Tag des Unfalls und von dem Leben, das er seitdem führte. „Ich habe also die nächsten dreizehn Jahre andere Familien in den Westen geführt. Und ich habe versucht, irgendwie weiterzuleben und mit der Zeit zu akzeptieren, was passiert ist.“
Sie saß lange wortlos neben ihm. „Wie kommt es, Jack, dass du John Donne zitieren kannst?“
Er lächelte und senkte kurz den Blick. „Das verdanke ich Mary. Nach ihrem Tod fand ich in ihrer Truhe ein Buch mit Sonetten. Teile dieses Sonetts waren unterstrichen. Mit der Zeit habe ich sie wahrscheinlich auswendig gelernt.“
„Dieses Sonett bedeutet mir auch sehr viel. Es war das Lieblingssonett meiner Mutter. Ich habe es ihr unzählige Male vorgelesen.“ Sie seufzte leise. „Aber erst jetzt habe ich seinen Sinn verstanden.“
„Dazu brauchte ich auch eine Weile.“
„Manchmal … dauert es auch fast das ganze Leben, nicht wahr?“
Als er die immer noch frische Trauer in ihrer Stimme hörte, ergriff er ihre Hand und erinnerte sich an den Tag, an dem er dieselben Worte zu ihr gesagt hatte. Langsam
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