Land der Sehnsucht (German Edition)
Marchands stehen. Über ihr schwebten die Fresken an den hohen Decken, und unter ihren Füßen glänzte der polierte Marmor. Sie war von opulenten kostbaren Möbeln, die in der Familie Marchand von Generation zu Generation vererbt wurden, umgeben. Sie atmete tief ein und erinnerte sich an den süßen Duft von frisch geschnittenen weißen Rosen. Die Lieblingsblumen ihrer Mutter hatten immer den Tisch im Foyer geziert. Und sie konnte immer noch das Crescendo des großen Flügels hören, wenn Monsieur Marchand spät abends im Ballsaal spielte.
Das Klappern von Pferdewagen und der Geruch von Tieren auf der Straße unter ihr vertrieben diese angenehmen Erinnerungen. Ihre Augenlider öffneten sich langsam wieder. Der Riss im oberen Teil des Spiegels schien plötzlich stärker hervorzutreten, genauso wie die sich lösende Tapete und die mit Staub überzogenen Spinnweben, die die Oberseite des Fensterrahmens zierten. Die Holzdielen knarrten, als sie in ihr Zimmer zurückkehrte.
Diese Fahrt hatte sie nicht nur weit von ihrem Zuhause weggebracht, sondern auch weit weg von dem Menschen, der sie früher gewesen war. Aber irgendwie fühlte sie sich in diesem unzivilisierten Territorium so lebendig und frei wie nie zuvor. Wie konnte das sein, da ihr Paris immer noch so lieb war? Genauso wie der vornehme Status ihres früheren Lebens.
Während sie in die Jacke schlüpfte, die zu ihrem Kleid gehörte, und Monsieur Sampsons Geld in ihr Handtäschchen steckte, beschäftigte sie eine einzige Frage. Sie genoss zwar diese neu entdeckten Veränderungen an sich selbst, aber waren es wirklich positive Veränderungen? Oder erlag sie einfach dem Ruf dieses ungezähmten Landes?
Und was war mit Jack Brennan? Hier in diesen Vereinigten Staaten verschwamm die Trennung zwischen den gesellschaftlichen Schichten oft, bis es nicht mehr möglich war zu unterscheiden, wo eine Gruppe aufhörte und eine andere begann. Das war so völlig anders als in Frankreich.
Jack war ein Mann mit Anstand und Ehrgefühl, er war freundlich und er hatte sich als ausgezeichneter Fahrer und Beschützer erwiesen, aber was den gesellschaftlichen Rang und die Stellung betraf, stand er weit unter ihr. Trotz der lockeren Umgangsformen dieses jungen Landes, das noch in den Kinderschuhen steckte, wäre es sicher am besten, einen gewissen Abstand zwischen ihnen zu wahren.
Sie war fest entschlossen, das auch zu tun.
* * *
Sobald sie das Hotel verlassen hatte, schlug Véronique ihren gewohnten Weg zum Mietstall ein. Sie verlangsamte ihre Schritte, als sie sah, dass sich an der Ecke eine Menschenmenge versammelt hatte und minütlich immer mehr Menschen zusammenkamen. Sie überlegte, einen anderen Weg zu wählen, aber ein Mann, der auf einem umgedrehten Fass stand, erregte ihre Aufmerksamkeit. Er winkte und deutete auf etwas neben sich, und ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Menge.
Ihre Neugier gewann schließlich die Oberhand.
Als sie nahe genug kam, um einen Blick auf den Gegenstand werfen zu können, der alle so faszinierte, war sie enttäuscht.
Es war nur ein Vélocipède, ein Fahrrad.
„Steigt auf, Leute!“ Die Stimme des Verkäufers überschlug sich fast vor Begeisterung. „Das ist die neueste Erfindung aus Europa. Das Fahrzeug von Königen und Königinnen! Es wird Fahrrad genannt, und es wird das Leben, so wie wir es kennen, völlig verändern!“
Véronique blieb einen Moment stehen und freute sich über die Reaktion der Menschen, die dem Mann zuschauten, wie er mit dem Fahrrad die Straße hinauf- und hinabfuhr. Natürlich war seine Bemerkung über das Fahrzeug der Könige absurd. Kaiser Napoleon wäre nie auf einem Vélocipède durch die Straßen von Paris gefahren. Lächerlich!
Sie erinnerte sich an ihre eigene Reaktion, als sie dieses sonderbar aussehende Gefährt zum ersten Mal gesehen hatte. Christophe hatte sich vor einigen Jahren eines gekauft, als sie der allerneueste Schrei in Paris gewesen waren. Eines Abends hatte er sie schließlich überredet, es auszuprobieren, und ihr versichert, dass niemand sie sehen würde. Aber schon zwei Runden hinter dem Haus, bei denen sie versucht hatte, auf dem winzigen Sitz das Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig ihr Kleid nicht in die Speichen zu bekommen, hatten sich als sehr anstrengend erwiesen. Diese Mühe war das Fahren in ihren Augen nicht wert. Ganz zu schweigen davon, dass die harten Gummireifen auf dem Kopfsteinpflaster ihre Zähne so hatten aufeinanderschlagen lassen, dass sie fürchtete, sie
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