Land der wilden Sehnsucht
urweltlichen Steingarten denken ließen.
„Das sind die ‚Devil’s marbles‘“, erläuterte Blaine. „Die Murmeln des Teufels.“ Er sah Sienna von der Seite an und fragte mit leuchtenden Augen: „Freuen Sie sich, hier zu sein?“
„Jetzt hier draußen … oder überhaupt?“
„Beides.“
„Ich würde für mein Leben nicht darauf verzichten wollen“, gestand sie und sagte damit nur die Wahrheit. Vieles hatte sich verändert, seit sie in Australien war. Sie empfand alles intensiver und leidenschaftlicher. Noch vor wenigen Tagen hätte sie das für unmöglich gehalten.
„Ich glaube, dafür sollten wir Mark dankbar sein“, meinte Blaine ernster als sonst. „Hat nicht alles, was geschieht, einen tieferen Sinn?“
„Davon bin ich überzeugt“, versicherte Sienna.
Sie durfte sich nicht länger etwas vormachen. Dies war der Beginn einer Romanze, die höchstwahrscheinlich nicht lange dauern würde. Blaine und sie lebten in zu verschiedenen Welten. Ein riesiger Ozean lag zwischen ihnen, trotzdem begann die wachsende Zuneigung zu diesem Mann, die sie möglichst zu verbergen suchte, immer mehr ihr Leben zu bestimmen. Wenn sie mit ihm zusammen war, fühlte sie sich wunderbar lebendig. Allein der Gedanke an ihn verursachte ihr Herzklopfen.
Sie hatte sich für eine absolut emanzipierte Frau gehalten. Jetzt musste sie plötzlich feststellen, dass sie genauso verwundbar war wie andere Geschlechtsgenossinnen. Sie hatte sich verliebt und damit die Bodenhaftung verloren – und sich selbst aufgegeben. Nun schien sie in einem kleinen Boot auf die hohe See hinauszutreiben.
Warum ausgerechnet hier? Warum ausgerechnet jetzt?
Sienna hatte nicht erwartet, auf eine so große Wasserfläche zu treffen. Sie glich einem endlosen Sumpf, auf dem Inseln pinkfarbener Lilien schwammen, während am Ufer immergrüne Pflanzen und Gräser wucherten. Das Wasser schien tief zu sein, verlief sich aber nach einer Seite hin im Sand. Zur anderen wurde es zunehmend schmaler, bis nur noch ein Flusslauf zu erkennen war, der sich hinter einer baumbestandenen Biegung verlor. Die kristallklare, glitzernde Oberfläche, in der sich überhängende Zweige spiegelten, zeigte keine Bewegung und erschien so blau wie der Himmel darüber.
Sie hatten die Pferde angebunden und spazierten langsam am sandigen Ufer entlang. Die Luft war angenehm frisch. Scharen von Vögeln flogen auf oder strichen über das Wasser hin. Ihr buntes Gefieder funkelte im Sonnenlicht wie kostbarer Edelstein.
„Ich hatte mir unter einem Billabong einen Teich vorgestellt“, sagte Sienna, „aber niemals einen so großen See.“ Sie nahm den Akubra ab und schüttelte ihr Haar aus, das sie für den Ritt hochgesteckt hatte.
Blaine beobachtete sie und spürte starkes Verlangen nach ihr aufsteigen. Amors Pfeil sitzt mir im Herzen, dachte er leicht belustigt. Wie gern würde ich mir jetzt eine Strähne ihres schimmernden Haars um den Finger wickeln und sie daran näher zu mir heranziehen.
„Das Wort entstammt wahrscheinlich der Sprache der Aborigines. Früher brachte man es mit der schottisch-gälischen Sprache in Verbindung, was nicht verwunderlich wäre. Die frühen Siedler kamen fast alle von den britischen Inseln, die andere Erklärung scheint mir allerdings plausibler zu sein.“ Er nahm ebenfalls seinen Hut ab. „Und was machen wir jetzt?“
Die Frage, aber noch mehr sein Blick ließen Sienna vorübergehend verstummen. „Ich weiß nur, was ich nun tue“, antwortete sie dann. „Ich kühle mir das Gesicht.“
„Nur zu“, ermunterte er sie.
Sienna suchte sich eine tiefere Stelle neben einem Felsen, der halb im Wasser stand. „Hu!“, rief sie, nachdem sie die Hände ins Nass getaucht hatte. „Das ist aber kalt.“ Trotzdem hörte sie nicht auf, Gesicht und Nacken zu benetzen, bis ihre Bluse völlig durchnässt war.
Blaine widerstand kaum noch der Versuchung, sie in die Arme zu nehmen. Ihre Augen, deren Farbe ihn an Bernstein oder dunklen Sherry erinnerte, ihr strahlendes Gesicht und ihr schimmerndes langes Haar – nie war er einer so begehrenswerten Frau zuvor begegnet.
„Was ist los, Blaine?“
Er strich sich das Haar aus der Stirn und kam langsam auf Sienna zu. „Sie sind wirklich eine ungewöhnlich schöne Frau, Sienna.“
„Manchmal frage ich mich, ob ich darüber glücklich sein soll“, erwiderte sie vorsichtig.
„Was wollen Sie damit sagen?“ Blaine sah ihr tief in die Augen.
„Was wohl? Glauben Sie, ich merke nicht, wie schwer es Ihnen
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