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Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
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berücksichtigen. So hatte es den Anschein, dass der Haushalt blühte und gedieh, wie ein Mann mit einer Krankheit, die sich tief in seinen Körper eingenistet hat, der aber nach außen hin gesund aussieht, auch wenn die geröteten Wangen auf ein tödliches Fieber hinweisen.
XI
    Nun komme ich zu einer Zeit, die zu den bislang schmerzlichsten Erfahrungen in meinem Leben zählt. Ich kann immer noch nicht an mein dreizehntes Lebensjahr denken, ohne einen stechenden Schmerz unterdrücken zu müssen. Es heißt ja nicht umsonst »Ein Unglück kommt selten allein.«
    Da Petar Oseku ein naher Blutsverwandter war, hätte ich mir denken können, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Vendetta meine eigene Familie erreichte. Vielleicht wusste ich es unterschwellig sogar und habe es nicht wahrhaben wollen; vielleicht war ich auch einfach zu jung und so von meinen kleinen Freuden und Sorgen eingenommen, dass ich nicht weiter darüber nachdachte. Die Welt meiner Jungmädchenzeit liegt mittlerweile weit hinter mir, und ich habe Vieles vergessen, trotzdem fällt es mir schwer zu glauben, dass ich damals so blind sein konnte.
    Woran es auch gelegen haben mag, es war ein Schock, als mein Vater dazu auserkoren wurde, den Tod von Johannik zu rächen, Petar Osekus mittlerem Sohn. Sein Jüngster, Orlu, musste erst noch die Schwelle zum Mannesalter übertreten, und mein Vater verkörperte Johanniks ältesten männlichen Angehörigen. Meine Eltern hatten seit der Verkündung der Vendetta gewusst, dass es so kommen würde, es sei denn, die Zauberer der beiden Dörfer handelten einen Blutsvergleichaus. Aus rechtlichen Gründen, die außer den Zauberern niemand verstand, hatte der Zauberer Ezra jedoch von Anfang an erklärt, dass dies unmöglich sei. Und so erstreckte sich die unerbittliche Logik der Vendetta in mein eigenes Haus. Es war wieder Anfang des Winters, zwei Jahre, nachdem Petar Oseku gestorben war.
    Meine Mutter und mein Vater hatten nicht daran gedacht, mich vor dieser Gefahr zu warnen, vermutlich aus einem Gefühl des Mitleids heraus oder weil sie geglaubt hatten, ich wüsste es bereits. Am wahrscheinlichsten jedoch ist wohl, dass sie mich für zu jung hielten, um mich in das Gespräch einzubeziehen. Und so war es für mich, als das blutige Laken vom Roten Haus hing – vom hinteren Fenster, weil das Haus dem Master gehörte, nicht meinem Vater –, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich war zu einer Besorgung unterwegs gewesen, hatte Eier von Fatima gekauft, achtete darauf, den Korb nicht zu schwingen und behielt den Boden im Auge, um nicht zu stolpern. Als ich den Hinterhof erreichte, entriegelte ich das Tor und schaute auf: Und da war das Laken, das wie eine Gotteslästerung von unserem eigenen Fenster hing.
    Ich wusste auf Anhieb, was es bedeutete. Ich habe keine Ahnung, wie es mir gelang, den Korb nicht an Ort und Stelle fallen zu lassen. Stattdessen trug ich ihn in die Küche und stellte ihn besonders vorsichtig auf dem Tisch ab. Meine Mutter bereitete einen Lammschmorbraten mit Zitronen- und Eiersoße vor. Sie dankte mir und nahm die Eier, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Tag. Ich erinnere mich noch daran, wie das durch die Tür einfallende Licht ihr Gesicht erfasste. Ihre Haut wirkte wächsern und leicht bläulich, als wäre sie selbst ein Leichnam. Sie verlor weder über das Laken noch über meinen Vater ein Wort. Ihre Miene war verschlossen, streng und ausdruckslos wie ein blanker Stein.
    In jener Nacht, als ich zu Bett ging und weinte, bis keine Tränen mehr kamen, betrat sie mein Zimmer, als sie mich schlafend wähnte, und streichelte mein Haar. Doch das bliebdas einzige Mal in jenen endlosen Monaten, dass sie daran dachte, mich mit Zärtlichkeit zu behandeln. Mein Vater verhielt sich ähnlich wie sein Bruder und weigerte sich, seiner Pflicht übereilt nachzukommen. Kurz nachdem das Laken aufgehängt worden war, schneite der Winter die Straßen zu und verschaffte ihm einen Aufschub. Jeden Tag, wenn ich zur Tür hinausging, sah ich das Laken, steif gefroren und mit Eiszapfen, und jedes Mal schauderte mich. Den ganzen langen, dunklen Winter hindurch hing der Tod über unserem Haushalt und vergiftete die Luft mit Beklommenheit.
    Meine Mutter war nie eine besonders ausdrucksstarke Frau, aber in jenem Winter war es, als welke ihre Seele dahin. Sie wurde zu einem anderen Menschen: härter und unversöhnlicher. Für mich wurde es eine einsame Zeit. Es fühlte sich an, als hätte sie mich aufgegeben und wäre an

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