Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Land des Todes

Land des Todes

Titel: Land des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Croggon
Vom Netzwerk:
meinem Leben sein, dass ich einen Anflug von Zuneigung für meinen Vater empfand; er behandelte mich an jenem Abend freundlich und nannte mich seinen Schatz, als er mir die Wange streichelte. Diese Erinnerung halte ich immer noch in Ehren, weil sie einen der wenigen Momente in meinem Leben darstellt, in denen ich ein Gefühl der Versöhnung in unserer Beziehung empfand. Es zählt zu den Widersprüchlichkeiten des Nordens, dass jenes Böse in unserem Herzen unsere edelsten Wesenszüge zum Vorschein bringt.
    Am Tag nach dem Ablauf der Waffenruhe wurde mein Vater auf der Straße unmittelbar außerhalb des Dorfes erschossen. Wie die meisten dieser Morde geschah auch dieser imMorgengrauen. Die Neuigkeit wurde uns von Johka von den Niederwiesen gebracht, der Vaters Leichnam fand. Ich erinnere mich noch lebhaft daran: Fatima war gerade mit Eiern und Klatsch für meine Mutter eingetroffen, und ich kochte Tee, als es an der Küchentür klopfte. Johka stand auf der Schwelle und umklammerte mit den Händen seinen Hut. Noch bevor er ein Wort hervorbrachte, wich alles Blut aus dem Gesicht meiner Mutter. Fatima nickte Johka zu, gab ihm damit zu verstehen, dass dies eine Sache unter Frauen sei. Er murmelte eine Mitleidsbekundung und ging. Meine Mutter stand da, sah nichts und hörte nichts, als Fatima ihren Ellbogen ergriff und sie dazu brachte, sich zu setzen. Erst da begann sie, zu weinen.
    Trotz all des Kummers, den der Tod meines Vaters verursachte, beeinträchtigte er unser Leben nicht sehr: Meine Mutter und ich waren geschützt, weil wir im Roten Haus arbeiteten und die Familie des Masters vor der Vendetta gefeit war. Im Gegensatz zu anderen schwebten wir nicht in Gefahr, unser Heim und unseren Lebensunterhalt zu verlieren. Doch mein Vater war noch kaum in seinem Grab erkaltet, als eine wahre Katastrophe zuschlug und unser Leben für immer veränderte.
XII
    Wie so oft war es auch hier ein Zufall, der die größte Auswirkung auf unser Dasein haben sollte.
    Eines Abends im späten Frühling sattelte der Master Ruby, die ungestüme braune Stute, um wegen geschäftlicher Belange zur Manse zu reiten. Normalerweise hätte mein Vater diese Aufgabe übernommen, und da er nicht mehr unter uns weilte, herrschte in den Ställen ein gewisser Personalmangel.Mein Vater hätte dem Master zweifellos geraten, ein anderes Pferd zu wählen – Ruby hatte sich in den vergangenen Tagen eine kleine wunde Stelle an den Rippen zugezogen, über die der Sattelgurt rieb. Das Tier besaß in seinen besten Tagen ein feuriges Gemüt – einer der Gründe, weshalb der Master es so gerne ritt –, doch durch die Schürfwunde war es reizbar.
    Der Master war weniger als eine halbe Meile weit geritten, als Ruby ihn abwarf. Sein Kopf schlug auf einem Stein auf, als er fiel, und er lag stundenlang bewusstlos auf dem Pfad, bevor Alarm geschlagen wurde. Die Männer brachen mit Lampen aus dem Roten Haus auf, als er nicht zurückkam, und fanden ihn gegen Mitternacht. Ruby graste friedlich in der Nähe, ein Bein in einem der Zügel.
    Man legte den Master über sein Pferd und schaffte ihn nach Hause, als wäre er bereits ein Leichnam. Tatsächlich lebte er kaum noch. Allein durch die Einwirkung der Elemente war er an den Rand des Todes gekommen – Tau benetzte seinen gesamten Körper –, und wenngleich die Haut an seiner Kopfverletzung nicht aufgebrochen war, prangte an seiner Schläfe ein hässlicher dunkler Fleck.
    Lina war aufgeblieben, um auf ihn zu warten. Sie zeigte sich inmitten des Tumults seltsam ruhig, und als sie ihren Vater durch den aufsteigenden Nebel heimkommen sah, rührte sie sich weder, noch schrie sie auf. Mit dunklen, im Lampenlicht schimmernden Augen beobachtete sie, wie er hereingebracht und ins Bett gelegt wurde, während man den Arzt rufen ließ. Nur ihre Blässe – sie war völlig erbleicht, als sie das Pferd erblickt hatte – und der kleine Blutstropfen auf ihrer Lippe, auf die sie sich gebissen hatte, verrieten ihre tiefe Besorgnis. Ich muss gestehen, dass ich darüber äußerst erleichtert war. Hätte sie sich wie üblich gebärdet und einen hysterischen Anfall bekommen, ich weiß nicht, wie wir dann zurechtgekommen wären. Stattdessen zog sie einen Stuhl dicht ans Bett, setzte sich neben ihren Vater, hielt seine Hand und streichelte seine Stirn.
    Damek stand beklommen an der Tür, wo er jeden behinderte, der die Kammer betreten oder sie verlassen wollte. Er erinnerte mich an einen Schwan, den ich einst gesehen hatte und dessen

Weitere Kostenlose Bücher