Land des Todes
sicherlich nicht behagt. Es war zu jener Zeit, dass er laut darüber nachdachte, Lina in den Süden zu schicken, um dort eine vornehmere, ihrem gesellschaftlichen Rang entsprechende Ausbildung zu erhalten.
Dieser Vorschlag entfachte einen gehörigen Sturm. In vielerlei Hinsicht war es eine sinnvolle Idee, Lina auf das Anwesen im Süden zu schicken, nicht zuletzt, weil sich ihreHexenkräfte allmählich zu zeigen schienen. Lina hatte keine Ahnung, wie man Zauber oder Banne wirkte – tatsächlich hatte ihr Vater ihr verboten, auch nur daran zu denken, ihre Fähigkeiten zu ergründen. Und er hatte ihr befohlen, sollte sie etwas Hexenartiges verspüren, dies sofort zu unterdrücken. Es sah Lina zwar nicht ähnlich, aber sie ließ keine Anzeichen erkennen, sich ihrem Vater widersetzen zu wollen; ich denke, in diesem Fall begriff sie, dass sein Verbot zu ihrem eigenen Besten war.
Dennoch konnte sie ihr Wesen nicht verbergen. Manchmal, in Augenblicken extremer Gefühlsregungen, schien ein leichter Schimmer ihre Haut zu beseelen, und einmal, als Lina mich vor Hänseleien zur Raserei brachte und ich ihr ins Gesicht schlug, wurde ich gegen die Küchenwand geschleudert, ohne dass sie mich auch nur mit einem Finger berührte. Unser Streit endete damals abrupt: Lina zeigte sich genauso verblüfft wie ich und half mir ungewohnt sanftmütig auf. Wir taten beide so, als sei nichts geschehen, und erwähnten es nie. Ich glaube, wir waren beide in gleichem Maße erschüttert.
Im Süden werden Hexen nicht verfolgt, wenngleich man sie, abgesehen von einigen namhaften Ausnahmen in der Stadt, als von geringerem Rang erachtet als ihre männlichen Gegenstücke. Hätte Lina auf dem südlichen Anwesen gelebt, hätte der Master eine weise Frau einstellen können, die sie in Hexenkunde unterwies, und vielleicht hätte sie eine Möglichkeit gefunden, ihre Zeit sinnbringend zu nutzen und ihre Kräfte einzusetzen.
Linas Antwort auf den Vorschlag fiel heftig und unanfechtbar aus. Sie weigerte sich rundheraus, das Plateau zu verlassen, wenn dies bedeutete, sich auch von Damek zu trennen. Schon die Andeutung eines Wegzugs beschwor einen ihrer berüchtigten Anfälle herauf, die, als sie älter wurde, zwar seltener auftraten, dafür aber umso furchterregender ausfielen. Wenn es dazu kam, schrie sie ihren Vater an, als wäre sie von einem Dämon besessen, ehe sie davonrannte und sich inihrem Zimmer einschloss. Sodann standen wir angespannt vor ihrer Tür und lauschten ihrem heftigen Schluchzen, doch sie antwortete niemandem. Nicht einmal Damek konnte sie dazu überreden, die Tür zu öffnen, bis ihr Vater versprach, dass er einen solchen Umzug vorerst nicht in Erwägung ziehen würde. Nach zwei oder drei solchen Vorfällen wurde die Idee dann stillschweigend zu Grabe getragen.
Und so standen die Dinge. Linas Leben – und das Leben der anderen – hätte wesentlich besser verlaufen können, wenn sie nach Süden gegangen wäre. Aber wären Wünsche Pferde, besäße ich ein riesiges Gestüt. Es hat keinen Sinn, sich wegen Dingen zu grämen, die hätten sein können.
Ungeachtet solcher gelegentlichen Ausbrüche verlief das Leben in unserem Haushalt die nächsten drei Jahre lang ereignislos. Der Master schien eine Vereinbarung mit dem Zauberer Ezra getroffen zu haben, und es gab keine weiteren beunruhigenden Gespräche zwischen den beiden. Damals dachten wir, es läge daran, dass Ezra mit der Vendetta beschäftigt sei und sich nicht mehr um so etwas Nebensächliches kümmern könne wie eine junge Hexe im Dorf. Insbesondere meine Mutter verspürte darüber große Erleichterung: Trotz all des Ärgers, den Lina ihr bereitete, liebte sie das Kind und wäre von einem ihr zugefügten Leid zutiefst betrübt gewesen.
In dem Jahr, nachdem die Vendetta begonnen hatte, besserte sich unsere finanzielle Lage erheblich. Der Master, der fast neun Monate lang im Roten Haus Däumchen gedreht hatte, begab sich auf eine seiner ausgedehnten Reisen, sobald die Straßen im Frühling befahrbar wurden. Sein Aufbruch ließ Lina untröstlich zurück, und wir mussten das Anwesen ohne ihn leiten – was sich, um die Wahrheit zu sagen, in seiner Abwesenheit sogar etwas einfacher gestaltete. Der Master kam diesen Aufgaben nie mehr als pflichtbewusst nach, wenn Sie verstehen, was ich meine.
So wurde mein Vater zum Verwalter des Anwesens, und gemeinsam mit meiner Mutter wurde fortan Einzelheiten mehrAufmerksamkeit geschenkt, als sich der Master je die Mühe gemacht hätte, zu
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