Land Spielen
kichert Ada. Und Vera kommt Moritz zuvor: »Ja, den Ersten hat es uns früh reingeschneit, dann haben wir gedacht: Was soll’s?, jetzt erst recht.«
Rudolf: »Das scheint euer Motto zu sein.« Moritz: »Wie meinst du das?« »Na, das hier alles.« (Dazu eine unbestimmte Geste in den Raum, die wahrscheinlich auch das Umland mit einschließen soll.) »Ganz oder gar nicht.« Da ist es endlich, das Streitgespräch, nach dem sich Moritz so gesehnt hat, er pariert, gibt sich selbstironisch, teilt aus und freut sich auch über die Treffer des Gegners, obwohl dieser den sarkastischen Zug nicht ablegt, der ihn unangreifbar macht. Es geht kurz hin und her, von »Lasset die Kinder zu mir kommen« (Moritz) zu »Die wahren Exoten wart ihr wahrscheinlich in der Stadt« (Rudolf), bis sich der besprochene Nachwuchs zu langweilen beginnt.
Die Professionalität des Pfarrers kennt keine Grenzen, dieser selbsterklärte Psychologe mit Heilsversprechen, der gleichermaßen mit Toten und mit alternden Groupies umgehen kann, weiß sich auch bei Kindern zu helfen, er zaubert aus der Hosentasche ein bis jetzt aufgespartes Geschenk. Ada darf es öffnen, Fabian fragt: »Was ist das?« »Trick siebenundsiebzig«, sagt Rudolf, Ralf fragt: »Warum siebenundsiebzig?«, für ihn ist es eindeutig ein Geduldspiel und kein Trick. »Hier, diese Kügelchen müssen in diese Ringe da.« Die Ringe sind gelb, sind beweglich. »Lass mich mal versuchen!« »Nein, ich hatte es zuerst!« »Du musst schütteln!« »Nicht so doll!« »Ich hatte schon eins drin.« »Jetzt lass mich mal!« – Und schon sind die drei Jüngsten beschäftigt, schimpfen, balgen sich. Vera nutzt den Augenblick, um abzuräumen. Rudolf zu Moritz: »Ich dachte, ihr teilt euch hier alles auf?« Moritz: »Einer muss sich ja um den Gast kümmern. – Schnaps?«
Moritz holt Eierbecher, »Etwas Besseres haben wir nicht«, er sagt es lächelnd, weiß, dass man in diesem Spiel auch mit Unzulänglichkeit punkten kann: »Aber es geht ja um den Inhalt.«
»Keine Ahnung, ob der Schnaps schmeckt, manchmal übertreiben es die Bauern auch, aber es geht ja wie gesagt um den Inhalt.« Rudolf lacht laut über sich selbst, es wird eingeschenkt, Vera kommt zurück, Moritz reicht ihr einen der Eierbecher, sie sagt, sie bleibe lieber beim Wasser, und kündigt den Nachtisch an.
Die streitenden Minderjährigen beenden ihr Ungeduldsspiel, helfen auftragen, hoffen, dass sie vom Schnaps probieren dürfen, wenn sie nett sind. Schnell wird klar, dass auch diese Strategie nichts bringt, also wird wieder gequengelt und also wird die Meute nach dem Nachtisch ins Bett geschickt. »Aber morgen ist doch gar keine Schule!«
»Noch immer nicht?«, fragt der Pfarrer, der es eigentlich wissen müsste.
»Die Heizung ist kaputt und deswegen haben die Ferien früher angefangen und jetzt ist sie noch immer kaputt«, verkündet Ada in feierlichem Ton. Ja, ergänzt Moritz, es gebe da irgendein Problem mit der Ölheizung, aber eigentlich gäbe es ja so etwas wie Schulpflicht, also gehe so was eigentlich nicht. Rudolf: »Ach, hier hinten geht so was schon …« Fabian konstatiert, wenn es nach ihm ginge, müsste die Heizung nie mehr geflickt werden. Moritz: »Ich hoffe, die ist bald repariert, dann sind wir die Bälger wenigstens tagsüber los …« Vera: »Ich hoffe, die ist bald repariert, unserem Ofen droht nämlich ebenfalls der Kollaps …« Ralf: »Wenn man sie nicht flicken kann, müssen wir eh irgendwann ins Nachbardorf zur Schule.« Moritz: »Früher oder später müsst ihr das sowieso.« Fabian: »Wieso?« Rudolf: »Die eigentliche Frage ist doch, ob die Heizung wenigstens in der Lehrerwohnung funktioniert.« Moritz: »Ich denke schon.« Fabian: »Warum müssen wir ins Nachbardorf?« Rudolf fixiert Moritz, hakt nach: »Ich dachte, ihr seid befreundet mit dem Lehrerpaar?« Fabian: »Wa-rum müssen wir ins Nachbardorf?!« Moritz: »Da-rum. – Und jetzt ist wirklich Bettzeit.«
Moritz steht auf, greift Fabian am Oberarm. Fabian will sich wehren, Moritz wählt einen leisen, aber bestimmten Ton, die Kinder gehorchen, wobei Moritz diesmal äußerst froh war um ihren Ungehorsam. Ja, denkt er, er hätte sich melden sollen bei Christine und Andreas, nachfragen, ob alles in Ordnung sei, aber es gab dann doch zu viele Gründe, es gerade jetzt nicht zu tun. In Öl-Fragen kennen sich andere besser aus, ein paar Tage Schulausfall kann man verkraften und Christine würde er früh genug wieder begegnen, zufällig, unverhofft, denn
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