Land Spielen
Wagen. Christine atmet durch, schaltet den Motor aus.
In der ruhigen, engen Landschaft liegt ein Felsbrocken und steht ein Auto. Lauernd voreinander. In handbreiter Distanz. Nicht, als wären sie gerade haarscharf an einer Kollision vorbeigeschrammt, sondern so, als hätten sie sich schon vor Jahren hier aufgestellt, als warteten sie seit Urzeiten, dass der eine oder der andere die Lust verliert und dem anderen aus dem Weg geht.
Es ist still. Die Standlichter sind an. Im Wagen ist es dunkel. Eine Frau, ein Mann und ein Gedanke: Und jetzt?
Moritz öffnet die Tür, das Licht im Wagen geht an, Moritz kneift die Augen zusammen, Christine schaut ihn erwartungsvoll an, Moritz steigt aus.
Und dann stehen sie da draußen, und dann wissen sie nicht, was sie tun sollen, und dann schauen sie diesen Felsbrocken an, und dann starren sie in die Nacht, und das Auto steht quer, und die Nacht ist dunkel, das Standlicht beleuchtet das Nichts, und das Licht im Autoinneren beleuchtet das Autoinnere. Und Moritz geht zum Felsbrocken, als könne er ihn bewegen oder sprengen. Moritz schaut, ob man den Felsbrocken umfahren kann, was man natürlich nicht kann, die Straße ist eng, ist noch nicht einmal eine Straße, ist bloß ein Kiesweg, auf dem im Frühjahr Kühe hoch- und im Herbst Kühe hinuntergetrieben werden. Auf dem ab und an ein Jeep fährt oder der Jeep vom Förster. Und wenn da mal der Weg versperrt ist, dann ist der eben mal versperrt. Macht ja nichts. Ist ja noch lange nicht September, bis die Kühe zurück ins Tal getrieben werden, dauert es noch ewig. Und verirrte Felsbrocken kommen vor in dieser Gegend und in dieser Jahreszeit. Erst die Schneeschmelze und dann taut auch der Boden, Festgefrorenes löst sich, löst Steinschlag aus oder bei Regen Schlammlawinen. Der Felsbrocken ist nicht allein gekommen, der Matsch zu Moritz’ Füßen ist Schnee, vermischt mit Geröll, leicht zu überklettern, der Felsbrocken zu Fuß leicht zu umrunden. Moritz umrundet den Felsbrocken, das Geröll nutzte offenbar die Rinne eines Bachs, riss offenbar die kleine Wellblechbrücke mit sich weg, die hier sein müsste. Über jede kleine Bachrinne führt so eine Brücke. Wellblech mit Beton ausgegossen. Billig und ersetzbar, falls sie einmal weggerissen werden sollte.
Moritz hält Ausschau nach Abdrücken von Kinderfüßen, Kindergummistiefelspuren. Es ist nichts zu sehen, denn es ist dunkel, und vielleicht wäre auch sonst nichts zu sehen. Zu Fuß ist kein Vorwärtskommen bei diesen Lichtverhältnissen, man müsste die Suche auf hellere Stunden verschieben, man muss an seinen Sohn glauben, der schon zurechtkommt, der unterdessen wieder wohlbehalten und kleinmütig zu Hause oder heldenhaft oben in der Alphütte angekommen ist. Moritz steht beim Felsbrocken, starrt das lächerliche Hindernis an, sieht schwarz.
Und dann geht Moritz zurück zum Auto, und dann fragt ihn Christine: »Und?« Und dann zuckt Moritz mit den Schultern, was man nicht sieht bei dem Licht. Aber Christine ist zu sehen bei dem Licht, sie lehnt an der Kühlerhaube, das Lämpchen, das das Wageninnere beleuchtet, beleuchtet auch die eine ihrer Gesichtshälften, die andere Hälfte bleibt im Dunkeln. Das halbierte Gesicht im Dämmerlicht, man muss an einen alten Film denken, schwarz-weiß, denkt Moritz, bloß die Lippen nicht, die leuchten übertrieben rot aus dem Bild heraus. Wie nachkoloriert, denkt Moritz, wie unrealistisch, denkt er, statt an seinen Sohn zu denken.
Der rote Mund sagt: »Fabian ist tapfer, der ist bestimmt bei der Alp angekommen. Oder er ist längst wieder zu Hause.« Und weil Moritz nichts sagt, spricht der Mund weiter: »Morgen früh sehen wir weiter, jetzt können wir nichts tun.«
Und dann sagt Moritz doch etwas, er sagt »Danke«, und er geht auf Christine zu, die immer noch an der Kühlerhaube lehnt, als wolle sie diesen Wagen anpreisen. Moritz steht vor Christine, Christine löst sich von der Kühlerhaube, Christine nimmt Moritz in den Arm, Moritz im Arm von Christine, Moritz, der schwer wirkt, Christine, die sich in Moritz’ Armen weich anfühlt.
Sie bleiben lange in der Umarmung, Christine hält Moritz beschützend, ihre rechte Hand streicht über seinen Rücken. Seine rechte Handfläche kommt auf ihrem Schulterblatt zu liegen, die Fingerspitzen berühren die Stelle unterhalb der Achselhöhle.
»Keine Angst, wir finden ihn schon«, sagt Christine, Moritz hört den Satz und findet den Zusammenhang doch nicht ganz.
Christine in seinem Arm kommt ihm
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