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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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weiter wärmten, wenn er später die Treppe in sein Dachzimmer hinaufkletterte.
    Als alle gesättigt waren, platzte es aus der jungen Frau Dreis heraus: Herr Dr. Kornitzer, wo haben Sie den Krieg erlebt? Er war es schon gewohnt, daß seine Angaben irritierend waren. Er hatte auf der Rückseite des Krieges vegetiert, in Angst um seine Frau, in Angst um seine Kinder, und die eigene Angst um sich selbst hatte er beiseite gelassen. Und er sagte etwas, das vielleicht nur wie ein Bodensatz einer Verstörung wirkte. Daß er 1933 seine Beamtenstelle verloren hatte und seitdem versuchte, sich und die Seinen vor dem Künftigen, dem notwendigen Angriffskrieg, den Hitler plante, zu schützen. Von der Entrechtung, von der Austreibung sprach er nicht. Und er wollte auch nicht sagen: Frau Dreis, das ist ein deutscher Krieg gewesen, und mir hat man die deutsche Staatsbürgerschaft glattweg entzogen, irgendwann im Jahr 1941, ohne daß ich es wußte, und ich habe sie wieder beantragen müssen, als ich zurückgekehrt war. Ja, man hat sie mir großmütig wiedergegeben. Auf Antrag. Frau Dreis sah ihn sorgenvoll an, malmte mit den Kiefern und steckte einen kleinen Finger in den Mund. Also, Sie haben nicht im Bombenkeller gesessen, während das Haus durchgerüttelt wurde? Nein, er gab eine schlanke und fast nichtssagende Antwort. Und Sie waren nicht in einem Konzentrationslager? Kornitzer sagte, er habe ein Visum für Kuba kurz vor Kriegsbeginn ergattert und sich dort durchgeschlagen. Die Antwort zählte nicht für die um den Tisch Versammelten, also kein Krieg, also keine Kellerexistenz, keine pfeifenden Granaten. Dann sind Sie ein glücklicher Mensch. (Und ein solcher wäre er ja wirklich gerne gewesen, wenn der Jammer nicht so groß gewesen wäre.) Frau Dreis sprach, nachdem das Kapitel des Mieters abrupt abgeschlossen war, von Plünderungen, ein anderer am Tisch von Verhaftungen, wenn man nicht den Mund gehalten hatte, die alte Frau Dreis sprach von Vergewaltigungen und schlug sich mit der Hand vor den Mund, Benno, der am meisten am Tisch getrunken hatte, sagte: Gefallen, zischbum mit einem Schlag, und der, der gefallen war, stand neben mir, mein bester Freund. Herr Dreis, der zum Volkssturm eingezogen worden war, sagte: Eingezogen und nie wiedergekommen und dabei schüttelte er so merkwürdig den Kopf, als bewundere er insgeheim den Mann, von dem er sprach, der nie wiedergekommen war. Als wäre er vielleicht in eine leuchtende Zukunft gegangen, die ihm in dem kleinen Ziegelhäuschen in der Vorstadt verwehrt geblieben war und weiter verwehrt bliebe. Insgesamt schien es, daß alle am Tisch viel Vergangenheit mit sich herumschleppten, an der Gegenwart laborierten (Löwenzahn, eine kalte Waschküche und ein enges Zusammenrücken), aber wenig Phantasie für die Zukunft aufbrachten. Er wiederum war dieser Zukunft wegen nach Deutschland zurückgekommen. Auch Claire und die Kinder, auf denen viel Vergangenheit lastete, waren ja eine Zukunft, die die Dreisens, da die Familie Kornitzer gewiß niemals bei ihnen wohnen würde, nichts anging. Und dann haben die Amerikaner Sie mit einem Schiff nach Deutschland gebracht? Oder mit einem Flugzeug?, fragte Benno mit großen Augen. Ich mußte mir die Rückreise nach Deutschland mühsam erkämpfen, antwortete Kornitzer. Sie wollten nicht in Amerika bleiben, wenn Sie schon einmal da waren?, fragte Benno zurück. Ich war in Kuba, das ist nicht wirklich Amerika gewesen, nur geographisch, verbesserte er ruhig. Ja, und ich wollte zurückkommen. O. k., sagte Benno sehr neumodisch, ich verstehe. Daß Kornitzer gekommen war, um in leitender Stellung ein demokratisches Deutschland aufzubauen und daß er auf diesem Weg noch nicht übermäßig weit gediehen war, ging dieses schmale Hemd von einem jungen Mann ja nichts an. Aber immer wohl Sonne!, schob Benno nach. Sengende Hitze und keine Kühlung und keine Verbindung zur Familie, antwortete Kornitzer knapp. Dann versackte das Gespräch für eine höfliche Weile, die Frauen räumten die Teller zusammen, stapelten sie in der Spüle. Kornitzer wollte sich alles merken, wollte vielleicht noch am Abend Claire einen Brief schreiben wie ein Gedächtnisprotokoll einer gedachten Selbstverständlichkeit: Geplündert – verhaftet – verschollen – vergewaltigt, das waren die Gesprächsthemen an einem Abendbrottisch. Dagegen waren seine Partizipien Perfekt nicht aufzuwiegen: Abgezockt – aus dem Land gejagt – erniedrigt – aus der Staatsbürgerschaft entlassen.
    Der

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