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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkoetter
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als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Aber ich habe nun mal an das Unternehmen gedacht. Mein Vater hat es aufgebaut. Wir sind auf Expandierungskurs, alles läuft blendend. Das sollte nicht vor die Hunde gehen.«
    »Nun ja.« Hambrock schenkte ihr ein Lächeln. »Ich denke, wir haben gehört, was wir hören wollten. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.«
    Sie erhob sich würdevoll. »Keine Ursache.«
    Auf dem Weg in die Halle kam Hambrock eine Idee.
    »Ist Nils eigentlich schon zu Hause? Oder ist der noch in der Schule?«
    »Nein, er müsste zu Hause sein. Möchten Sie mit ihm sprechen?«
    Das wäre eine gute Möglichkeit, den Patriarchen zu umgehen. Wenn Nicole das Gespräch erlaubte, ließ sich ihnen kein Strick daraus drehen.
    »Wenn das möglich wäre, sehr gern«, sagte Hambrock.
    »Ich denke, er ist in seinem Zimmer. Ich werde ihn holen.«
    Obwohl sie die beiden nicht dazu aufgefordert hatte, folgten Keller und Hambrock ihr über die Treppe nach oben. Nicole Baar sollte nicht die Möglichkeit bekommen, ihrem Bruder vor dem Gespräch mit der Polizei etwas einzutrichtern. Sie schien jedoch kaum Notiz von den Kommissaren zu nehmen. An einer Zimmertür blieb sie stehen und klopfte an.
    »Nils? Bist du da? Hier sind zwei Männer von der Polizei, die mit dir sprechen möchten. Es geht um Marius.«
    Stille. Kein Laut drang aus dem Innern. Sie klopfte noch mal. »Nils!« Wieder nichts.
    Dann öffnete sie die Tür und trat ein. Das Jugendzimmer war verwaist. Zwar war der Computer hochgefahren, und die Schreibtischlampe brannte, doch der Junge schien nicht da zu sein. Hambrock bemerkte das offene Fenster.
    »Sehen Sie«, sagte er. »Ist er etwa durchs Fenster ausgestiegen?«
    Nicole stieß einen verärgerten Seufzer aus. Sie trat ans Fenster und sah hinaus.
    »Dieser Idiot«, schnaufte sie. »Das macht er in letzter Zeit immer häufiger. Steigt aus dem Fenster und stromert durch die Landschaft. Und alle denken, er sitzt oben und macht Hausaufgaben. Ich weiß nicht, was er damit erreichen will. Mutter und Vater sollten sich wirklich mehr um ihn kümmern.«
    »Er macht das also häufiger?«, fragte Hambrock.
    »Ja, leider. Ich glaube, er bekommt einfach nicht genügend Aufmerksamkeit. Deshalb denkt er sich so einen Quatsch aus. Aber es ist nicht mein Job, mich um ihn zu kümmern. Das muss er schon mit seinen Eltern ausmachen.«
    Sie wandte sich vom Fenster ab. »Tut mir leid«, sagte sie. »Aus dem Gespräch wird wohl nichts.«
    »Das macht nichts«, sagte Hambrock. »War ohnehin nicht so wichtig.«
    Dabei blickte er an Nicole Baar vorbei durchs Fenster. Da waren der Garten und die Garage, dahinter die Zufahrtsstraße und ein Weizenfeld. Und schließlich, ein paar hundert Meter entfernt, der Bahnhof von Gertenbeck. Mit einem Fernglas ließe sich von hier aus alles beobachten. Falls Nils nicht auch in jener Nacht durchs Fenster geklettert und vielleicht noch viel näher dran gewesen war.

28
    Ein seltsames Gefühl, in seinem Bett in Gertenbeck aufzuwachen. Marius hatte nicht damit gerechnet, noch einmal hierher zurückzukehren. Eigentlich wollte er bei Nathalie bleiben, bis sie nach Berlin gehen würden. Dies hier war nicht geplant gewesen.
    Bisher war er noch keinem aus der Familie über den Weg gelaufen. Gestern Nacht, als er mit dem letzten Zug aus Münster gekommen war, hatten alle schon in den Betten gelegen. Aber seine Mutter hatte sicher seine Schuhe und die Jacke in der Garderobe gesehen. Sie würde längst Bescheid wissen. Bestimmt wäre sein Platz am Frühstückstisch gedeckt.
    Er duschte, zog sich an und ging hinunter ins Esszimmer. Sein Vater war bereits im Unternehmen, doch alle anderen saßen am Tisch. Keiner nahm besondere Notiz von ihm. Als wäre er gar nicht weg gewesen. Nicole las in der Zeitung und trank Kaffee. Sie sah kurz auf, bedachte ihn mit einem kühlen Blick und blätterte um. Doch das war’s schon. Auch seine Brüder ließen sich kaum etwas anmerken. Roland warf ihm einen finsteren Blick zu, bevor er sich wieder seinem Teller widmete. Nils dagegen lächelte und wünschte ihm einen guten Morgen. Doch dann stocherte auch er wieder in seinem Rührei herum.
    Seine Mutter tauchte mit einer Karaffe Orangensaft auf.
    »Da bist du ja, Marius. Setz dich doch. Möchtest du Rührei?«
    Kein Wort zu seinem Verschwinden. Marius war das unheimlich. Er fragte sich, was sie eigentlich über sein Fortbleiben wussten. Über Nathalie und Berlin. Und über seinen Vater, der ihn zurückgeholt

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