Landgericht
einen Joint geraucht und über die Familie Baar gesprochen. Ich habe gesagt, es sei besser so. Sie sollte die ganze Scheiße hinter sich lassen.«
»Sie waren in Ihrer WG-Küche. Den ganzen Abend?«
»Ja doch. Um eins oder halb zwei sind wir dann ins Bett gegangen.«
»Kann das jemand bezeugen? Außer Nathalie?«
»Nein, natürlich nicht. Wer denn auch? Wir waren allein in der Wohnung.«
Hambrock betrachtete ihn schweigend. Frau Brösig tippte die letzten Worte in den Computer, dann wurde es still, und ihre Hände ruhten wieder bewegungslos auf der Tastatur. Sie blickte emotionslos auf.
»Ich war verletzt!«, rief Mikey. »Mir tat alles weh. Ich wäre gar nicht in der Lage gewesen, zum Bahnhof zu gehen und mich in den Zug zu setzen. Geschweige denn, Marius zu überfallen. Das konnte ja keiner wissen, dass die meiste Arbeit schon von diesen Jugendlichen übernommen würde. Wäre das nicht gewesen, hätte ich im Kampf gegen ihn keine Chance gehabt. Dazu war ich viel zu angeschlagen.«
»Was für ein Glück also, dass die meiste Arbeit, wie Sie sich ausdrücken, schon die Jugendlichen übernommen hatten.«
»Nein, hören Sie auf. Sie drehen mir das Wort im Mund um. So meine ich das nicht. Ich war zu Hause in der WG. Ich habe den Mord nicht begangen.«
»Wieso haben Sie dann der Polizei nichts gesagt? Wieso haben Sie uns die Schlägerei, den Streit mit Marius und alles andere verschwiegen? Wir haben Sie danach gefragt, und Sie haben uns bewusst angelogen.«
Er sackte in sich zusammen. Schüttelte immer wieder den Kopf. Hambrock wartete.
»Als Nathalie und ich erfahren haben, was passiert ist, waren wir total geschockt. Wir haben abgesprochen, die ganze Geschichte für uns zu behalten. Es sollte keiner auf die Idee kommen, uns zu verdächtigen.«
»Ein seltsames Verhalten, bedenkt man, dass die Täter gefasst und geständig waren. Wer hätte Sie da noch verdächtigen sollen?«
»Ich weiß es nicht. Mein Gott, es war doch alles noch so frisch. Wir standen unter Schock. Marius war tot, ermordet. Da war noch gar nicht absehbar, wohin die Reise geht. Wir wollten einfach, dass kein Dreck aufgewühlt wird. Lass uns die Beine still halten, hab ich zu Nathalie gesagt. Bis alles vorbei ist.«
»Bis die drei vermeintlichen Mörder verurteilt wären? Von denen Sie wussten, dass sie es gar nicht waren?«
»Ich wusste das nicht!«, schrie er. »Ich war durcheinander. Total geschockt. Ich wusste doch, wenn da irgendwas nicht so war, wie es zunächst aussah, dann wäre ich der Hauptverdächtige. Also habe ich abgewartet.«
Seine Aussage deckte sich mit der von Nathalie, die Hambrock zuvor befragt hatte. Nur hatte die nicht herumgeschrien und gezetert, sondern mit Tränen in den Augen dagesessen und kaum mehr als ein Flüstern zustande gebracht. Doch auch sie hatte Mikey ein Alibi gegeben und geschworen, sie hätten alles nur verschwiegen, um keinen unnötigen Verdacht auf Mikey zu lenken.
»Dann war das falsch, was Sie gesagt haben?«, hatte Hambrock sie gefragt. »Dass Sie geschwiegen haben, um Ihre Geheimnisse mit Marius zu wahren? Um das Andenken an ihn zu schützen und Ihre Liebe nicht in die Öffentlichkeit zu zerren?«
Nathalie war leichenblass gewesen. Beinahe hatte Hambrock befürchtet, sie würde zusammenbrechen.
»Nein, das war nicht gelogen. Auch wenn sich das jetzt so anhört. Unsere Liebe war etwas Besonderes. Ich trage eine große Schuld. Marius wollte sich an diesem Tag mit mir versöhnen. Er wollte alles wiedergutmachen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte ihm nicht verzeihen. Hätte ich ihm eine Chance gegeben, wäre er nicht in diesem Zug gewesen. Dann würde er heute noch leben.«
Eine halbe Stunde später hatte Hambrock die Befragung von Mikey beendet. Frau Brösig nickte ihm zu, speicherte die Datei und ließ ihre Finger knacken. Hambrock führte Mikey zur Tür.
»Bitte halten Sie sich zu Verfügung«, sagte er. »Und verlassen Sie die Stadt nicht.«
Der junge Mann nickte und verschwand. Draußen auf dem Flur wartete Keller bereits auf Hambrock. Als Mikey fort war, fragte er: »Und? Was kam dabei raus?«
»Nichts. Er hat das Gleiche gesagt wie Nathalie. Ihre Aussagen decken sich in allen Punkten.«
»Das muss aber nichts heißen.«
»Natürlich nicht.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir haben ein Foto von Mikey. Ich will, dass wir es allen Zeugen aus dem Zug unter die Nase halten. Vielleicht hat ihn ja einer da gesehen, und dann haben wir ihn.«
Keller wandte sich bereits zum Gehen, als
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