Landleben
die
tüchtige Tanten und ältere Nachbarinnen auf die geschlos-
sene Kante der unteren Hälfte des Schiebefensters stellten,
damit sich das Licht in ihnen fing. In seinem geschulten
und etwas gespreizt klingenden Bariton, einen Ton tiefer
in seiner Brust anschlagend, als schlichte Konversation es
erforderte, verkündete der andere Mann Owen: «Und das
ist meine liebe Frau Julia.»
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XIII Man möchte es gar nicht wissen
In Haskells Crossing sterben die Leute. Sie zeigen einem,
wie man’s macht. Sie machen es unsichtbar, umgeben von
professionellen Krankenschwestern und treuem Hausper-
sonal, doch in seltenen Fällen fallen sie ohne Vorwarnung
tot um, zum Beispiel während sie den Ball hügelaufwärts
zum dreizehnten Loch treiben, oder mitten bei einem Ni-
ckerchen nach einem trinkseligen Sonntagslunch. Der Tod
verliert nie seine Eigenschaft des Unerwarteten. Das Le-
ben erwartet den Tod nicht, der lebendige Verstand kann
ihn sich nicht vorstellen. Manche Bürger sterben bald nach
einer aufwendigen kosmetischen Operation oder einer
schwierigen multiplen Bypassoperation, oder nach einer
teuren Hausrenovierung im Hin l
b ick auf die künftigen
Jahre – sie sterben trotzdem.
In der Kirche, in die Owen und Julia regelmäßig gehen,
obwohl Julia weniger regelmäßig geht als damals, als sie die
Frau eines Geistlichen war, kann man den Vorgang beob-
achten. Die Sterbenden sind Sonntag um Sonntag ein klein
wenig unschlüssiger und ausgezehrter, wenn sie mit auf-
sässigem Blick und mahlenden Kiefern von dem Gitter, wo
sie die heilige Kommunion empfangen haben, wieder zu
ihrem Platz tapern. Als Nächstes schaffen sie es nicht mehr
bis zum Gitter, oder sie können sich, wegen der Gicht im
Knie oder der schmerzenden Hüfte, nicht mehr hinknien
und nehmen die Oblate stehend entgegen, wie die Katho-
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liken oder die Lutheraner, oder aber – das nächste Stadi-
um – der Geistliche und sein Ministrant bringen sie ihnen
zum Schluss zur Kirchenbank. Bei dieser Abweichung von
der gewöhnlichen Zeremonie ist kein anderes Geräusch zu
hören als das Murmeln des Geistlichen, und keine andere
Bewegung zu sehen als das wackelnde weiße Haupt der
Kommunikantin und ihre Hand, falls sie aus der Schule der
alten Hochkirche kommt und nach dem Empfang von Brot
und Wein das Kreuzzeichen macht. Die Männer verlieren
alle Farbe im Gesicht und werden grau wie Stein, und die
Augen sinken tiefer in den Augenhöhlen; die Frauen, die
noch im letzten Lebensstadium auf die frischen Make-up-
Farben zurückgreifen können, haben glitzernde Augen
über verhutzelten, aber rötlichen Wangen. Das Sterben
schmeichelt manchen Frauen, kehrt die Strenge und die
Entschiedenheit, die immer schon da waren, hervor. Ande-
re, wie die bemerkenswert reiche Florence Sprang, erschei-
nen als angemalte und verkleidete Schauergestalten, wenn
sie zwischen einem Handstock und einer Hausangestellten
den Mittelgang entlanghumpeln, um ihren Anteil von Leib
und Blut Jesu Christi zu empfangen.
Schließlich schaffen es auch die stoischsten und ent-
schlossensten Kommunikanten nicht mehr, zum Sonntags-
gottesdienst zu kommen, und sind nur noch als ein Name
in den Fürbittgebeten gegenwärtig, einer von vielen – zu
vielen, heißt es flüsternd –, Namen, die von dem jeweili-
gen Vorbeter mit eintöniger Stimme verlesen werden, nach
der Formel: Für die Alten und Gebrechlichen, für die Witwen
und Waisen und für die Kranken und die Leidenden, lasset uns
beten zum Herrn, unserem Gott. Oder nach der Formel III:
Unser Mitgefühl ist mit denen, die Krankheit oder Kummer
le
n
ide .
In dem darauf folgenden Geleier von Namen gesellt sich
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«Florence» demokratisch zur Vielzahl anderer Kranker und
Leidender, Erin und Jameeka, Shonda und Lara, Dolores
und Jade, Bruce und Hamad und Todd, die, obwohl Flo-
rence ihnen nie begegnet ist, eingeschlossen sind in das
Hilfsprogramm der Epiphaniasgemeinde in Cabot City, wo
sie in Heimen und Sozialwohnungen an den ruinösen Aus-
wirkungen von Drogen und Alkohol, Fettleibigkeit und
Aids, Promiskuität und bipolaren Psychosen leiden. Dann
figuriert Florence’ Name, unter Hinzufügung des Nachna-
mens, eine Zeit lang in der Liste, die auf die formelhaf-
ten Worte folgt: Für jene, die in der Hoffnung auf Wiederauferstehung gestorben sind, und für alle Dahingeschiedenen, lasset uns beten zum Herrn, unserem Gott. Die Gemeinde antwortet
mit der Anrufung der
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