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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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damit sie ihn nach einem
    seiner Albträume trösten konnten und ihn zu sich nahmen,
    in die warme Lücke zwischen sich in ihrem Bett.
    Als er heranwuchs, entdeckte er noch weitere Orte in
    Willow, wo die Sünde ihren Schatten warf, einen, der nicht
    wegglitt wie die meisten anderen Schatten, sondern etwas
    Klebriges, Stechendes hatte. Oben auf dem Geräteschup-
    pen des Spielplatzes war ein dreieckiger Platz unter dem
    Pavillondach, in den man sich nur hineinschwingen konn-
    te, wenn man hochsprang, einen Querbalken umfasste und
    die Füße hinaufschwang, wobei man eine Sekunde lang
    gefährlich in der Luft baumelte, und dann den Körper
    oben auf den Schuppen stemmte. Als Owens Augen sich
    angepasst hatten, sah er, dass da noch andere, nie über-
    malte Zeichnungen waren, mit Botschaften und Behaup-

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    tungen, die sich auf Mädchen und Jungen bezogen, die
    zu alt waren, als dass er sie hätte kennen können. Ginger
    Bitting kletterte manchmal nach dem Spielen hier herauf,
    und es war angenehm, sich auszustrecken und sich vorzu-
    stellen, sie läge neben ihm – ihr drahtiger, energiegelade-
    ner, furchtloser Körper –, und an den gerippten Planken
    entlang zu dem Schotterfußboden des Pavillons hinunter-
    zublicken, wo eine verlorene Markierungskugel oder ein
    roter Spielstein wie ein Geheimnis neben einem der stäm-
    migen Bockbeine der Tische lag.
    Nach der siebten Klasse ging Owen von der Grund-
    schule ab und kam auf die Highschool eine halbe Meile
    die Pike entlang in Richtung Alton. Obwohl Mädchen und
    Jungen jede Tür benutzen und das Schulgelände ohne die
    auf dem Schulhof der Grundschule erzwungene Trennung
    nach Geschlechtern betreten durften, hing ein Hauch von
    Skandal an den unteren Fenstern der Highschool, die – un-
    ter dem Klassenzimmer an der Ecke – nach Alton hinaus-
    gingen. Das waren die Fenster des Umkleideraums der
    Mädchen: Sie waren mit Maschendraht bespannt und in-
    nen schwarz angemalt. Doch in der inzwischen alten Farbe
    waren Risse entstanden, und mysteriöserweise waren von
    drinnen Löcher hineingekratzt worden. Obwohl es kein ge-
    schriebenes Verbot gab, scheuchten die Lehrer die Jungen
    von diesen Fenstern fort, und auf dem Platz davor mit sei-
    nem gemähten Rasen und dem schmalen Weg lagerte sich
    eine so kräftige Patina von angeblich erhaschten Blicken
    und entschlossenem Spionieren ab, dass Owen mit einer
    Erinnerung ins Erwachsenenleben ging, die so leuchtend
    war wie ein Serail von Ingres, von nackten Mädchen, aus
    einem Winkel erspäht, an asbestbeschichteten Rohrleitun-
    gen im Vordergrund und den staubigen grünen Oberseiten
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    der metallenen Schließfächer vorbei – Mädchen mit schim-
    mernden Schultern und vom Duschen nassen Hüften, Bar-
    bara Emerich und Alice Stottlemeyer und Babs Dolinski
    und Grace Bickta, aber aus irgendeinem Grund nicht Gin-
    ger Bitting, Mädchen, mit denen er aufgewachsen war, die
    sich langsam in ihrer aufblühenden Nacktheit bewegten,
    selbstvergessen, wie unter Wasser.
    Obwohl seine Mutter, eine große Verehrerin der Natur,
    auf ihrem Weg zum Badezimmer und zurück oft nackt ging
    und, als er noch klein war, oft mit ihm zusammen badete,
    hatte Owen erstaunlich geringe Vorstellungen davon, wie
    der Körper einer Frau aussah, als schirmte sie, weil sie sei-
    ne Mutter war, ein dichter Schleier ab. Nur Frauen seiner
    eigenen Generation konnte er sehen, und nur sie konnten
    ihn anleiten. Einmal, als Owen sich, nachdem Miss Mull
    nach Hause gegangen war, auf dem vom Spätsommer ver-
    brannten Gras des Spielfelds mit Doris Shanahan balgte,
    einem wilden Mädchen mit kantigem Gesicht aus der ach-
    ten Klasse des B-Strangs, die pfeifend auf ihrem Fahrrad
    fuhr und gern mit Jungen Bälle in die Körbe versenkte,
    sah er in ihre Shorts hinein, als sie triumphierend über ihm
    stand, die Beine über seinem Gesicht gespreizt, und er sah,
    dank ihrer lose sitzenden Unterhose, ein paar geringelte
    schwarze Haare: Es war, als hätte er noch nie Schamhaar
    gesehen. Er selbst hatte noch keins. Dass er das von Do-
    ris gesehen hatte, war eine Sünde, das wusste er, aber es
    machte ihn glücklich, und es war wirklich. Es war Wissen,
    und Wissen, darin waren sich alle Älteren in Willow einig,
    war ein wichtiges Gut.

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    lll Ehemann

    Wenn Owen aufwacht und entdeckt, dass Julia nicht mehr
    im Bett ist, macht er sich auf die Suche nach ihr, und beide
    führen eine halb-komische Szene auf, in der sie bewusst
    mit der Senilität flirten – wie

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