Landleben
drei Chinesen, alle gleich
schwammig, wie aufgeblasene Puppen oder geschwollene
graue Zecken, schweigend, aber erwartungsvoll in seinem
Wohnzimmer. Sie und das Rasenteam – Männer mit un-
gesund bräunlicher Haut, die Zigaretten rauchen, während
sie geräuschvoll ihre Mäher immer im Kreis herumfahren,
wobei sie viele Ecken auslassen und viel Hochgewachsenes
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köpfen – schienen irrtümlich anzunehmen, dass er, wenn
Julia nicht da ist (sie ist in doppelter Ausführung nach Bos-
ton gefahren), schon weiß, was er zu tun hat, welche Höf-
lichkeiten er zeigen, welche Anweisungen er geben muss.
Er war der Besitzer, der Gastgeber, der Eigentümer, der
Boss – eine Rolle, in die er nie richtig hineingewachsen ist.
Jung zur Welt gekommen, ist er jung geblieben: Ein unter
einem glücklichen Stern stehendes Leben hat ihn so erhal-
ten. Irritiert wachte er auf.
All dies möchte er Julia erzählen, um sie zum Lachen
zu bringen. Er möchte mit ihr über die möglichen Verbin-
dungen zwischen dem Traum und dem wirklichen Leben
sprechen. Vor einigen Jahren sind sie drei Wochen in Chi-
na gewesen – auch ein Manöver zur Abwehr der Senilität.
Alle Paare, die sie in Haskells Crossing kennen, machen
Reisen angesichts des sich rasch schließenden Zeitfensters
zwischen dem Rückzug in den Ruhestand und dem Tod.
Wie Kinder Kärtchen aus Kaugummipackungen tauschen,
tauschen sie die Namen von Restaurants und Hotels, Mu-
seen und Tempeln aus, die man nicht versäumen darf,
von lokalen Fremdenführern, die man finden und zu Rate
ziehen muss. Der ganze Erdball ist von Haskells Crossing
und seiner Nachbargemeinde, Haven-by-the-Sea, kolonia-
lisiert worden; sie schicken Pilger aus, die auf denselben
Pfaden wandeln, in den Fußstapfen der anderen, die in
denselben Restaurants speisen und dieselben Fremden-
führer benutzen, ja, im Schatten der Chinesischen Mauer
begegnen sie sogar derselben denkwürdig hartnäckigen
Souvenir-Verkäuferin. Außerdem hat Owens Karriere in
der Computer-Branche ihm viele asiatisch-amerikanische
Kollegen verschafft, von denen manche so undurchsichtig
erwartungsvoll und unkooperativ waren wie die Gestal-
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ten in seinem Traum. Und dabei fallt ihm ein, dass er im
letzten Winter, auf einer Geschäftsreise nach Chicago, zu-
sammen mit Julia im Art Institute eine rätselhafte Instal-
lation gesehen hat: identisch lächelnde, mit grauer Farbe
besprayte, in Pyjamas gekleidete künstliche Chinesen, die
um das Marmorgeländer der majestätisc e
h n Haupttreppe
gruppiert waren.
Owen stellt sich vor, wie Julia mit ihm lacht, wenn er
diese möglichen Verbindungen mit den imaginären orien-
talischen Besuchern überprüft, die so selbstzufrieden, so
unirritierbar vergnügt in dem Wohnzimmer der Mackenzies
saßen, das im Traum in einen weitgehend leeren Raum
mit schrägem Fußboden rekonfiguriert worden war. War
die Schräge ein Verweis des Traums auf Schlitzaugen, oder
auf den abschüssigen Fußboden im Scheherazade, damals
in Willow, wo er so manchen C
harlie-Chan-Film gesehen
hatte?
Er möchte ihr diesen Traum speziell deshalb erzählen,
weil er, unter den unzusammenhängenden Teilen, irgend-
wie vor allem von Julia handelte. Sein Wunsch, sie möge
auf der Auffahrt nicht zu Schaden kommen; sein Herz
pochte in wilder Angst, sie könnte auf feuchtem Laub ins
Schleudern geraten und tödlich verunglücken. So viele
seiner Träume handeln nicht von ihr, sondern reichen weit
zurück, während sie beide auf dem Floß ihrer Matratze ge-
meinsam durch ihre privaten Universen driften, zurück zu
einem vor fünfundzwanzig Jahren verlassenen, belasteten
Terrain – den häuslichen Wirrnissen und den Kümmer-
nissen gleichen Ausmaßes in der Stadt Middle Falls, Con-
necticut, wo Phyllis mit dramatischem Understatement
die Rolle seiner Ehefrau gespielt hatte. Oft ist in seinen
Träumen die Gestalt der Ehefrau zweideutig, das Gesicht
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in Nebel getaucht, und könnte die eine oder die andere
sein. Phyllis, stattlich, mit schmutzig blondem Haar, war
größer und hatte sich aus ihren Studententagen eine gewis-
se unkonventionelle Sorglosigkeit erhalten, während Julia,
kompakt, brünett, mit langen Wimpern und kontrollierten
weißen Strähnchen in ihrer eleganten Frisur, peppiger in
ihrer Kleidung und ihren Bewegungen ist: In seinen Träu-
men aber nehmen beide eine rezessive, generische Ehe-
fraulichkeit
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