Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
drei Chinesen, alle gleich
    schwammig, wie aufgeblasene Puppen oder geschwollene
    graue Zecken, schweigend, aber erwartungsvoll in seinem
    Wohnzimmer. Sie und das Rasenteam – Männer mit un-
    gesund bräunlicher Haut, die Zigaretten rauchen, während
    sie geräuschvoll ihre Mäher immer im Kreis herumfahren,
    wobei sie viele Ecken auslassen und viel Hochgewachsenes
    50
    köpfen – schienen irrtümlich anzunehmen, dass er, wenn
    Julia nicht da ist (sie ist in doppelter Ausführung nach Bos-
    ton gefahren), schon weiß, was er zu tun hat, welche Höf-
    lichkeiten er zeigen, welche Anweisungen er geben muss.
    Er war der Besitzer, der Gastgeber, der Eigentümer, der
    Boss – eine Rolle, in die er nie richtig hineingewachsen ist.
    Jung zur Welt gekommen, ist er jung geblieben: Ein unter
    einem glücklichen Stern stehendes Leben hat ihn so erhal-
    ten. Irritiert wachte er auf.
    All dies möchte er Julia erzählen, um sie zum Lachen
    zu bringen. Er möchte mit ihr über die möglichen Verbin-
    dungen zwischen dem Traum und dem wirklichen Leben
    sprechen. Vor einigen Jahren sind sie drei Wochen in Chi-
    na gewesen – auch ein Manöver zur Abwehr der Senilität.
    Alle Paare, die sie in Haskells Crossing kennen, machen
    Reisen angesichts des sich rasch schließenden Zeitfensters
    zwischen dem Rückzug in den Ruhestand und dem Tod.
    Wie Kinder Kärtchen aus Kaugummipackungen tauschen,
    tauschen sie die Namen von Restaurants und Hotels, Mu-
    seen und Tempeln aus, die man nicht versäumen darf,
    von lokalen Fremdenführern, die man finden und zu Rate
    ziehen muss. Der ganze Erdball ist von Haskells Crossing
    und seiner Nachbargemeinde, Haven-by-the-Sea, kolonia-
    lisiert worden; sie schicken Pilger aus, die auf denselben
    Pfaden wandeln, in den Fußstapfen der anderen, die in
    denselben Restaurants speisen und dieselben Fremden-
    führer benutzen, ja, im Schatten der Chinesischen Mauer
    begegnen sie sogar derselben denkwürdig hartnäckigen
    Souvenir-Verkäuferin. Außerdem hat Owens Karriere in
    der Computer-Branche ihm viele asiatisch-amerikanische
    Kollegen verschafft, von denen manche so undurchsichtig
    erwartungsvoll und unkooperativ waren wie die Gestal-

    51
    ten in seinem Traum. Und dabei fallt ihm ein, dass er im
    letzten Winter, auf einer Geschäftsreise nach Chicago, zu-
    sammen mit Julia im Art Institute eine rätselhafte Instal-
    lation gesehen hat: identisch lächelnde, mit grauer Farbe
    besprayte, in Pyjamas gekleidete künstliche Chinesen, die
    um das Marmorgeländer der majestätisc e
    h n Haupttreppe
    gruppiert waren.
    Owen stellt sich vor, wie Julia mit ihm lacht, wenn er
    diese möglichen Verbindungen mit den imaginären orien-
    talischen Besuchern überprüft, die so selbstzufrieden, so
    unirritierbar vergnügt in dem Wohnzimmer der Mackenzies
    saßen, das im Traum in einen weitgehend leeren Raum
    mit schrägem Fußboden rekonfiguriert worden war. War
    die Schräge ein Verweis des Traums auf Schlitzaugen, oder
    auf den abschüssigen Fußboden im Scheherazade, damals
    in Willow, wo er so manchen C

    harlie-Chan-Film gesehen
    hatte?
    Er möchte ihr diesen Traum speziell deshalb erzählen,
    weil er, unter den unzusammenhängenden Teilen, irgend-
    wie vor allem von Julia handelte. Sein Wunsch, sie möge
    auf der Auffahrt nicht zu Schaden kommen; sein Herz
    pochte in wilder Angst, sie könnte auf feuchtem Laub ins
    Schleudern geraten und tödlich verunglücken. So viele
    seiner Träume handeln nicht von ihr, sondern reichen weit
    zurück, während sie beide auf dem Floß ihrer Matratze ge-
    meinsam durch ihre privaten Universen driften, zurück zu
    einem vor fünfundzwanzig Jahren verlassenen, belasteten
    Terrain – den häuslichen Wirrnissen und den Kümmer-
    nissen gleichen Ausmaßes in der Stadt Middle Falls, Con-
    necticut, wo Phyllis mit dramatischem Understatement
    die Rolle seiner Ehefrau gespielt hatte. Oft ist in seinen
    Träumen die Gestalt der Ehefrau zweideutig, das Gesicht
    52
    in Nebel getaucht, und könnte die eine oder die andere
    sein. Phyllis, stattlich, mit schmutzig blondem Haar, war
    größer und hatte sich aus ihren Studententagen eine gewis-
    se unkonventionelle Sorglosigkeit erhalten, während Julia,
    kompakt, brünett, mit langen Wimpern und kontrollierten
    weißen Strähnchen in ihrer eleganten Frisur, peppiger in
    ihrer Kleidung und ihren Bewegungen ist: In seinen Träu-
    men aber nehmen beide eine rezessive, generische Ehe-
    fraulichkeit

Weitere Kostenlose Bücher