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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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dem Vordersitz kauernd, in jener Zeit eine
    durchgehende Bank, den Rücken gegen den Knauf der
    Fensterkurbel gedrückt und die Unterschenkel und Knö-
    chel von der Heizung geröstet, schien sie wie ein Gefäß
    geformt, um ihn zu empfangen, ein Nest, in dem zuneh-
    mend mehr gewährt wurde. Bei jeder Verabredung gab
    sie ihm ein weiteres Stückchen von sich, das er fortan als
    seins beanspruchen konnte – ausgeschlossen, dass diese
    kleinen warmen Territorien wieder einbehalten wurden.
    Außer Küssen gab es so viel zu berühren, so viele Haken
    und Kniffe an den Verschlüssen und wohlduftenden Bede-
    ckungen, dort, im Schutz des Wagens, der manchmal auch
    ihr Wagen war, denn obwohl sie ein Jahr jünger war als er,
    hatte sie schon einen Führerschein, und wenn sein armer
    alter Familien-Chevy über Nacht zur Reparatur musste
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    oder zu einem abendlichen Vorhaben der Erwachsenen ab-
    kommandiert war, kam sie mit einem Auto ihrer Familie,
    dem grünen Dodge ihrer Mutter oder sogar mit ihres Va-
    ters dunkelblauem Chrysler mit V-8-Motor und holte ihn
    an dem Farmhaus ab, wo seine Mutter, wenn auch nicht
    kampflos, hingenommen hatte, dass Elsie sein «Mädchen»
    war, was immer das bedeutete n
    i einer Welt, die in ein neu-
    es Halbjahrhundert aufbrach.
    An manchen dieser Abende, wenn Elsie fuhr und mit
    einer eindrucksvollen Karosse vor dem Haus hielt, wurde
    sie hereingebeten, in das kleine vordere Wohnzimmer, wo
    die klobigen Möbel der Rauschs aus dem Haus in Willow
    plötzlich schäbig aussahen, bedeckt mit Haaren der beiden
    Collies, die seine Mutter als Teil ihrer Vision vom länd-
    lichen Leben erworben hatte. Schick gekleidet in dieser
    Umgebung verfallender Vornehmheit, an deren Rändern
    Owens Großeltern sich schlurfend und murmelnd zurück-
    zogen, unterhielt sich Elsie lebhaft und höflich mit Owens
    Mutter. Ihre honigbraunen Augen blitzten, ihre scharlach-
    roten Lippen lächelten. Owen, der linkisch dabeistand, in
    einem Flanellhemd mit zu kurzen Ärmeln, in abgestoße-
    nen Schnürschuhen, die plump wirkten, verglichen mit El-
    sies polierten Mokassins (sehr sichtbar, wenn sie vornehm
    das eine und dann das andere Bein übereinander schlug),
    kam sich vor wie ein weitergereichter Staffelstab. Er hatte
    das Gefühl, einem Duell beizuwohnen, während eine Höf-
    lichkeit auf die andere folgte. Auch seine Mutter war einst
    die schick aufgemachte Tochter eines erfolgreichen länd-
    lichen Unternehmers gewesen, sie kannte einen gewissen
    Code, sie wusste, «wie man sich benahm». Sie wusste auch,
    wie die Leute sich tatsächlich benahmen, und konnte nicht
    viel dagegen ausrichten.

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    Wenn die jungen Leute, nachdem man den gesellschaft-
    lichen Pflichten nachgekommen war, in die Freiheit eines
    Wagens von Elsie entlassen wurden, kam es ihm, wenn
    Film oder Minigolf hinter ihnen lagen und sie einen Platz
    zum Parken gefunden hatten, unnatürlich vor, dass sie
    links von ihm sitzen sollte statt rechts. Wenn er sich ihr so
    näherte, war sie für ihn wie ein fremdes Mädchen, mit dem
    er von vorn beginnen musste. Kinnpartien und Münder bil-
    deten Winkel, die anders waren als die üblichen, und seine
    Hände hatten es mit umgekehrten Routen zu tun.
    «Sollen wir tauschen?», fragte sie, als er eine Bemer-
    kung über das Ungewohnte machte. Ihre Stimme war dann
    hauchiger und kam tiefer aus ihrer Kehle als die höfliche,
    Dutch-getönte Stimme, mit der sie mit seiner Mutter und
    den Lehrern in der Schule sprach. Ihr Lippenstift hatte
    schon angefangen zu schmieren und abzublättern. Ihr Ge-
    sicht wurde von einer Straßenlampe einen halben Block
    weiter wächsern beleuchtet; sie parkten manchmal an einer
    verborgenen Stelle, die er von seinen Spaziergängen in der
    Kindheit kannte, hinter dem Platz mit dem Dairy-Queen-
    Eiswagen, oben auf dem Cedar Top. Er wohnte zehn Mei-
    len entfernt und sie vier, mehr nach Süden hin, aber Willow
    war die Stadt, deren Topographie er kannte und wo er sich
    am sichersten fühlte. An anderen Tagen parkten sie oben
    am Shale Hill, in der Nähe der ehemaligen Victory-Gär-
    ten, auf einem Lehmweg, der im Zuge neuerer Bauvorha-
    ben angelegt worden war. Je mehr sie ihm gewährte, desto
    mehr suchte er nach noch sichereren Stellen, wo die Poli-
    zei nie hinkam und ihnen mit Stablampen in die Gesichter
    leuchtete, wie es einmal geschehen war, hinter dem langen
    niedrigen Schuppen des alten Farmermarkts. Während sie
    hinter dem Steuer des teuren Autos ihres Vaters saß,

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