Landleben
entlanghumpeln, um ihren Anteil von Leib
und Blut Jesu Christi zu empfangen.
Schließlich schaffen es auch die stoischsten und ent-
schlossensten Kommunikanten nicht mehr, zum Sonntags-
gottesdienst zu kommen, und sind nur noch als ein Name
in den Fürbittgebeten gegenwärtig, einer von vielen – zu
vielen, heißt es flüsternd –, Namen, die von dem jeweili-
gen Vorbeter mit eintöniger Stimme verlesen werden, nach
der Formel: Für die Alten und Gebrechlichen, für die Witwen
und Waisen und für die Kranken und die Leidenden, lasset uns
beten zum Herrn, unserem Gott. Oder nach der Formel III:
Unser Mitgefühl ist mit denen, die Krankheit oder Kummer leiden.
In dem darauf folgenden Geleier von Namen gesellt sich «Florence» demokratisch zur Vielzahl anderer Kranker und
Leidender, Erin und Jameeka, Shonda und Lara, Dolores
und Jade, Bruce und Hamad und Todd, die, obwohl Flo-
rence ihnen nie begegnet ist, eingeschlossen sind in das
Hilfsprogramm der Epiphaniasgemeinde in Cabot City, wo
sie in Heimen und Sozialwohnungen an den ruinösen Aus-
wirkungen von Drogen und Alkohol, Fettleibigkeit und
Aids, Promiskuität und bipolaren Psychosen leiden. Dann
figuriert Florence’ Name, unter Hinzufügung des Nachna-
mens, eine Zeit lang in der Liste, die auf die formelhaf-
ten Worte folgt: Für jene, die in der Hoffnung auf Wiederauf-
erstehung gestorben sind, und für alle Dahingeschiedenen, lasset
uns beten zum Herrn, unserem Gott. Die Gemeinde antwortet
mit der Anrufung der riesigen hypothetischen Einheit, die
über den Vorgängen in dieser Kleinstadt schwebt: Herr, er-
barme dich, oder, im Hinblick auf die Verschiedenen, die
nun sicher in ihren Särgen und Urnen ruhen: Lasse das ewige
Licht leuchten über ihnen.
Das ewige Licht – und das in einem Universum, wo laut
neuesten wissenschaftlichen Berichten die von einem un-
bekannten, als dunkle Kraft bezeichneten Faktor vorange-
triebene Expansion sich in einem Maße beschleunigt, dass
die Sterne irgendwann füreinander nicht mehr sichtbar
sind. Andere Gesetze weisen nach, dass die Sterne ausbren-
nen und als bedeutungslose Ascheansammlungen ewig
träger Materie dahindriften werden. Niemand verfolgt die
neuesten Erkenntnisse der empirischen Kosmologie mit
größerem Interesse als der Geistliche der Stadt, der darauf
hofft, um die Ecke einer kryptischen Gleichung herum, ei-
nen Blick auf die göttliche Barmherzigkeit zu erhaschen.
Eine Bürde, so wie Owen es sieht, die auf den Schultern
der modernen Gläubigen lastet, ist der monströs vergrö- ßerte Kontext der Zeit. Paulus glaubte, die letzte Posaune
würde noch zu Lebzeiten mancher der damals Lebenden
ertönen – «Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir wer-
den nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt
werden; und dasselbe plötzlich, in einem Augenblick, zu
der Zeit der letzten Posaune» –, und im Mittelalter konnten
sich die Leute noch vorstellen, ihre Skelette würden un-
versehrt, mit fleischlosen Kiefern grinsend, ihren Gräbern
entsteigen. Die nächste Welt lag um die Ecke, fast konnte
man ihr einen Besuch abstatten wie den Gewölben unter
der Kathedrale. Jetzt muss sie in eine andere Dimension
verwiesen werden und sich zu den subatomaren Ketten ge-
sellen, deren mathematische Erfindung vielleicht endlich
das Rätsel der Existenz lösen wird: Warum hat das Nichts,
der Grundton kosmischer Realität, der Unterboden, der in
alle Ewigkeit bleibt, sich entschieden, so mühevoll gegen
sich selbst zu verstoßen und überhaupt etwas hervorzubrin-
gen? In strategischem Rückzug überlässt die Kirche den
Kosmos der Physik und nimmt Zuflucht im Persönlichen –
dem Kosmos des fragilen, vergänglichen Bewusstseins. In
jener endlos verlängerten Schattenwelt badeten Florence
und Jameeka und Lara und Bruce und Konsorten in Gottes
unterschiedsloser Liebe und wurden zusammen von Mal
zu Mal stärker. Habe ich nach menschlicher Meinung zu Ephesus
mit wilden Tieren gefochten, was hilft’s mir? So die Toten nicht
auferstehen, «lasset uns essen und trinken; denn morgen sind wir
tot!» Im nächsten Vers fügt Paulus ominös hinzu: Lasset euch
nicht verführen! Böse Geschwätze verderben gute Sitten.
Es hatte sich so ergeben, dass Owen und Julia sich
hauptsächlich mit älteren Menschen anfreundeten, als sie
nach Haskells Crossing kamen. Paare ihres Alters, die fest-
gestellt hatten, dass dieses höfliche Paar weder trank noch über den lokalen Klatsch auf dem Laufenden war, sahen
nach der
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