Landleben
Katzenmotel blickten,
waren Owen und Phyllis behutsam ineinander vertieft. Sie
lernten die Geräusche und Bewegungen kennen, die jeder
im Schlaf machte, und wie ihre Verdauung roch, obwohl die
Badezimmertür fest zu schließen war und ein Deckenven-
tilator eingeschaltet werden konnte. Ihr Schlafzimmer war
so klein, dass einer an der Wand schlafen musste, und da
er derjenige war, der an fünf Tagen in der Woche morgens
aufstehen und zur Arbeit gehen musste, überließ sie ihm
die Außenseite, was hieß, dass sie, wenn sie nachts aufste-
hen musste – weil sie am Tisch ihrer Eltern oder bei einem
scharf gewürzten Essen in einem griechischen Restaurant
mit einem anderen Paar junger ehemaliger Studenten zu
viel Wein getrunken hatte –, vorsichtig über ihn hinüber-
glitt, wobei eine Konstellation kleiner Berührungen un-
mittelbar über ihn hinwegzog. Er schlief dann wieder ein
und erklärte sich in seinen Träumen, dass er verheiratet
und dass dies der Körper seiner Frau war. Sie war immer noch scheu, und ein Fußgänger auf dem Gehweg draußen
konnte in ihre Fenster sehen, wenn er den Blick ein wenig
senkte, aber in den stickigsten Nächten schlief sie nackt.
Der Körper seiner Frau rührte ihn immer aufs Neue. Sie
schliefen seltener miteinander, als er sich in jungfräulichen
Tagen vorgestellt hatte, und schuld daran, fand er, war er
ebenso wie sie; er lernte abends, und sie auch, während das
Radio oben auf dem Sekretär in der Ecke klassische Musik
spielte. Selbst wenn man nur mit halbem Ohr zuhörte, war
eine Beethoven-Symphonie oder eine Schubert-Sonate an-
spruchsvoll, und das, was danach vielleicht noch zu sagen
war, ließ sich mit einem Seufzer und dem Geräusch eines
Buches, das endlich zugeklappt wurde, sagen. Als sie ihm
an dem Tag, an dem er sich in Fort Devens zur Einberu-
fung in die Army melden musste, abends mitteilte, dass
ihre Periode ausgeblieben sei, war es, als wäre sie durch
einen osmotischen Vorgang schwanger geworden, nicht
durch einen klaren Geschlechtsakt.
Immer leitete er ein, was immer es an Berührungen zwi-
schen ihnen gab. Angesichts der übererregten Ungeschick-
lichkeit, die er, sobald er dabei war, entfaltete, besonders
wenn ein Kondom, das ihn einzwängte und widerlich nach
Gummi roch, benutzt worden war, als Alternative zu dem
mit Creme bestrichenen Diaphragma, das sie in sich ein-
führte (errötend kam sie danach aus dem Badezimmer),
konnte er ihr deswegen keinen Vorwurf machen. Er konnte
Phyllis ohnehin nie Vorwürfe machen, und vielleicht war
das ein Defekt, ein Manko in ihrer Beziehung. Sie war ein
Jahr älter, und er vertraute darauf, dass sie Recht hatte; er
vergaß nie die ersten ehrfurchtsvollen Blicke auf sie – in
den Korridoren des MIT mit seinem betriebsamen Laby-
rinth von nummerierten Gebäuden, von einer Menge in Mengen. Wie unerreichbar war sie ihm erschienen! Schon
die Vorstellung, mit ihr zu sprechen, sich in die Sphäre ih-
rer Aufmerksamkeit zu drängen, war ihm wie Blasphemie
erschienen.
In der Flitterwoche auf Cape Cod waren sie am Strand
in Richtung Provincetown gegangen, einem Strand, der zu
Phyllis’ Kindheitssommern gehörte, und obwohl es noch zu
kühl für Badeanzüge war, hatte sie an einer stillen flachen
Stelle die Schuhe ausgezogen und war ins Wasser gewatet,
und ihr geraffter Rock hatte die Oberschenkel zur Hälfte
und die Rundung und Verjüngung ihrer langen weißen Wa-
den zur Gänze freigegeben. Ein paar junge männliche Spa-
ziergänger, die aus südlicher Richtung von Provincetown
kamen, waren stehen geblieben und hatten gestarrt. Es
waren kräftige, laute junge Männer, und es kam Owen gar
nicht in den Sinn, dass sie homosexuell sein könnten. Er
war überzeugt, dass sie seine Frau wölken, sie wollten sie
ergreifen und vergewaltigen, hier, an dem leeren Strand.
Mit der Heftigkeit eines Schlages aus dem Hinterhalt er-
kannte er seine Unfähigkeit, Phyllis zu beschützen – sei-
nen behüteten Schatz, seine unschuldige Exhibitionistin,
seine ehemalige Jungfrau am Meer. Er war ein erbärmli-
cher Bräutigam. Der dunstige Himmel war hoch und gna-
denlos. Hinter ihrem Kopf und dem sandfarbenen Haar,
jetzt arglos gesenkt in der Betrachtung von Muscheln und
Krebslöchern, die im Schaum der ablaufenden Welle zum
Vorschein kamen, war nur eisiger Ozean und Portugal.
VII Unterwegs nach Middle Falls
Sein letzter Traum vor dem Aufwachen handelt von ei-
ner Party, einer Party damals in Middle
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