Landleben
Falls, obwohl sie
in einem Wolkenkratzer stattzufinden scheint und den
Glanz und die grellen Farben einer Party in einem Film
hat, einem Film der fünfziger Jahre oder einem heutigen
Retro-Film über die fünfziger Jahre, in dem die Frauen zu aufgedonnert sind, in Pastellfarben und weit schwingen-
den Röcken, mit in der Taille eng gerafftem Taft und starr
gewelltem Haar. Im Traum bemerkt er nach und nach, dass
die beiden weiblichen Gäste, mit denen er spricht – die
eine sitzt neben ihm, die andere steht –, in bemaltes Por-
zellan gekleidet sind, steife Panzer mit glänzenden mo-
dellierten Rändern, als wären sie Figurinen aus dem acht-
zehnten Jahrhundert. Wenn Owen Bilder von Copley oder
Gainsborough oder von Ingres betrachtet, kann er sich in
den Falten der Seide verlieren, in dem halbsteifen Fall und
dem Bauschen des Stoffes, in den hell hervorgehobenen
Partien und den Falten, vom Pinsel des Malers so leiden-
schaftlich wiedergegeben, nicht weit von den mit Rouge
bedeckten gleichgültigen Gesichtern; diese Partykleider
sind genau so, starre Keramik, doch die Arme der Frauen
wirken weich und lebendig, sie gestikulieren spielerisch,
und die Stimmen und die Mimik sind lebhaft und anmu-
tig, lassen in ihren Bewegungen keinerlei Unbehagen oder
Behinderung erkennen. Owen, neiderfüllt, weil er, wie er meint, vergleichsweise schlecht gekleidet ist, steht plötz-
lich vor dem Wandschrank des Gastgebers (wer immer das
ist), in dem polierte Schuhe und Tweedjacketts aufgereiht
sind, und sucht nach einem Porzellananzug, den er anzie-
hen kann. Er wird bei seiner Suche durch Lärm von der
Party her abgelenkt: Ein älterer Gast ist ohnmächtig ge-
worden, ein Kranz schlafender Hunde umgibt seinen Kopf,
und ein Fuchs scheint im Haus frei umherzulaufen. Eve,
Owens jüngste Tochter, beschützt unter Tränen das Tier.
Dann ist dies also sein Haus, das große, mit Holzschindeln
verkleidete Haus auf der Partridgeberrv Road in Middle
Falls, Connecticut. Also ist er der geheimnisvolle Gastge-
ber, der zu seiner Schande unpassend gekleidet ist, ohne
Porzellananzug. Er wacht auf.
Julia ist nicht im Bett, und die warme Kuhle, die sie hin-
terlässt, kühlt ab. Er empfindet, jeden Tag mit größerem
Gewicht, wie unnatürlich es ist, das Bett zu verlassen für
das gleiche langweilige Kleie-Getreideflocken-Frühstück,
mit der Hand voll Vitamintabletten, die zu schlucken sind,
der Zeitung, die zu lesen ist, mit ihren tödlichen Autoun-
fällen, ihren Wohnhausbränden in der Innenstadt Bostons,
ihren nicht enden wollenden Enthüllungen über sexuellen
Missbrauch, vorgebracht gegen Priester von inzwischen
erwachsenen, prozessfreudigen, nicht sehr gewinnenden
Opfern, einstigen Kindern, mit ihren weiteren Enthüllun-
gen von verzweigter Schikane in den obersten Etagen gro-
ßer Konzerne und Investmentfonds, ihren Nachrufen auf
verdienstvolle Unbekannte, mit ihren Berichten über den
bevorstehenden Krieg. Seine linke Hand wird häufig von
einem Kribbeln in der Handfläche heimgesucht, was auf
eine Abnutzung der Wirbelsäule oder auf einen drohenden
Herzinfarkt hinweist, und von arthritischen Schmerzen am Nagelbett eines der Finger und, was sich nicht so leicht
ignorieren lässt, in den Daumengelenken, Schmerzen, die
tief in der Anatomie seiner Hand verborgen sind. Diese
Schmerzen haben, so glaubt er, mit der Golfsaison zu tun:
Der wehtuende Finger ist der dritte, mit dem er all die
Jahre den Golfschläger umfasst hat, sehr fest, zu fest, und
die gleiche Grifftechnik hat irgendwie seinen Daumen in
Mitleidenschaft gezogen – zu viel Gewicht darauf gelegt
beim Backswing. Jahrzehntelang hat er versucht, sich von
Golfprofis zeigen zu lassen, was er falsch macht, doch alle
haben nach einem nur flüchtigen Blick gesagt, sein Griff
sehe gut aus, um alsdann die Stellung seiner Füße zu be-
mängeln, die Haltung seiner Schultern, seine übertriebene
Hüftdrehung, seine elende Neigung, sich von außen nach
innen zu drehen, seinen steifbeinigen und übertrieben auf-
rechten Stand und den damit einhergehenden Fehler, das
verteufelte «umgedrehte G». Aber in seinem Herzen weiß
er, dass der Daumen eigentlich nicht nach jeder Runde
wehtun sollte. Jetzt sind die Knochen abgenutzt, irrepara-
bel: Der Schaden und die Schmerzen werden ihn bis ans
Grab begleiten. Eine Woge der Liebe zu Julia durchströmt
ihn, ausgelöst von dem warmen Gefühl, das von ihr her-
rührt, auf dem Laken, unter der Decke. Sie ist bei ihm ge-
blieben, sie wird bei ihm bleiben,
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