Landleben
hatten Phyllis runder
gemacht; ihr Gesicht, nach wie vor eine zarte Silberstift-
zeichnung, saß auf einem breiteren Sockel, und ihr Nacht-
hemd fiel in geraden dorischen Falten von ihren milchvol-
len Brüsten.
Sie hatte Recht: Was er bei SAGE gelernt hatte, führte,
als er bei IBM in der Madison Avenue in New York City
eine Stelle annahm, wie von selbst zur Arbeit an dem,
was später als SABRE bekannt wurde, dem landesweiten
computerisierten Reservierungssystem, das zusammen
mit American Airways entwickelt wurde. Es war die größ-
te zivile Umstellung auf Computer, die je unternommen
wurde, sie erforderte eine Million Zeilen Programmcode,
zweihundert Computertechniker, zehntausend Meilen von
gepachteten Telekommunikationsleitungen und tausend
Bediener an Desktop-Terminals, die an zwei Großrechner
des Typs IBM 7090 in Briarcliff Manor, nördlich von New
York, angeschlossen waren. Einer der Computer arbeitete,
der andere stand zur Reserve bereit, für den Fall, dass der erste abstürzte. Ein winziger Bruchteil von diesen eine Mil-
lion Zeilen war Owens Schöpfung; denn dank ihm leiteten
die UND- und ODER-Gabelungen und das WENN ...
DANN-Gatter Flugnummern, Abkürzungen für Flugter-
minals, Preise und einzelne Sitzplätze in die richtigen elek-
tronischen Slots. Seine angeborene schottische Sparsam-
keit wurde zu einer Leidenschaft in Sachen elektronischer
Ökonomie – bei Umformulierungen, die ein kompliziertes
Unterprogramm oder eine überflüssige Schleife umgingen
und einen winzigen Schnipsel Zeit sparten, was er deutlich
spürte, wenn der Monitor, gleich einem Boxer am Rande
der Erschöpfung, auf die gedrückten Tasten reagierte.
Phyllis konnte in der freien Stunde am Abend, wenn
die beiden Kinder endlich schliefen und das Geschirr vom
Abendessen in der Spülmaschine sang, seinen Erklärungen
folgen, obwohl dies nicht ihre Art von Mathematik war,
diese Elektronen, die in den algorithmischen Schaltkrei-
sen kreisten, so wie Pferde um einen Mühlstein herum-
trotten, und manchmal konnte sie, in einem schwerefreien
Sprung der Einsicht, eine frische Möglichkeit vorschlagen,
die eine lineare Schwierigkeit umging. Owen war dann wie
geblendet und verliebte sich erneut in sie.
Als er sie einst erblickt hatte, wie sie durch die Massen
am MIT schwebte, hatte er nicht das wachsende Gewicht
vorausgesehen, das sie mit sich bringen würde – die nassen
Windeln, das Gepäck von Kinderbetten und Kinderwagen,
von Lätzchen und Gläsern mit Gerbers Kinderpüree, das
Lärmen nie schlafender Bedürfnisse, den Kreislauf ver-
drießlicher Krankheiten, wenn die Bazillen innerhalb der
Familie von einem zum andern übersprangen, die verviel-
fältigten Verantwortungen, die sich weit in die Zukunft
erstreckten, bis zum College und darüber hinaus. Bürger- licher Komfort legte in Eisenhowers zweiter Amtszeit an
Umfang zu: Autos mit großen Heckflossen, hohe pastellfar-
bene Kühlschränke, dröhnende, tropfende Klimaanlagen,
immer gierig nach Strom. Phyllis’ beherzte Intelligenz fand
nichts, wohin sie sich wenden konnte in dem stagnieren-
den, schleppenden Alltag ihres Lebens in einer Folge von
Dreizimmerwohnungen. Sie zogen von der lauten 55th
Street zwischen Lexington und Third Avenue in die 63rd,
weiter östlich, ohne jedoch dem Großstadtkrach zu entge-
hen, der Phyllis nachts wach hielt und sie schlafwandelnd
durch die Tage mit ihren beiden Kleinkindern gehen ließ.
Das komplizierte Reich unter den Straßen von Midtown,
in das behelmte Männer hinabstiegen und aus dem Schwa-
den von Dampf aufstiegen, wurde ohne Ende erneuert:
Presslufthämmer, die ganze Nacht in Betrieb, führten Wo-
che um Woche die gleichen Reparaturen aus.
Irgendwie wurde sie wieder schwanger. Owen konnte
sich nicht vorstellen, wie es passiert war, er arbeitete so bru-
tal viele Stunden an dem Airline-Projekt. SABRE wurde
1960 auf diesen Namen getauft, nach einem Buick-Modell,
aber der Name stellte ein Akronym dar: Semi-Automatic
Business Research Environment. Bevor das System einsatz-
fähig war, erteilten andere Fluggesellschaften – Delta, Pan
American – Aufträge bei IBM, und die Banken und Buch-
führungsfirmen im Lande begriffen, dass eine computeri-
sierte Zukunft anbrach. Selbst in kleineren Unternehmen
kam Hunger nach Programmen auf, mit denen sich Ge-
haltsabrechnungen, Inventuren und das Rechnungswesen
beschleunigen ließen. 1960 gab es vielleicht fünftausend
Computer im Land, die meisten an den Universitäten und
in den
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