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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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un-
terschied, außer dass beide Frauen einen kleinen Geruch
der Unzufriedenheit ausströmten. Er fühlte sich wohl bei
diesem Geruch, er bestätigte seinen ersten Gedanken über
das Leben, dass er nämlich Glück gehabt hatte, als Junge
zur Welt gekommen zu sein. MIT und IBM hatten diese
Einsicht durch nichts widerlegt.
    Als er Phyllis das Gespräch beschrieb, schien sie nicht
abgeneigt. Sie war im siebten Monat schwanger, und wenn
sie sich in der Wohnung zwischen den beiden Zimmern hin
und her bewegte, mit Abstechern in die Küche und ins Ba-
dezimmer, tat sie es würdevoll, eine Spur zurückgeneigt,
und ihr lieblicher langer Hals hielt ihren Kopf hoch, wie Ed
bemerkt hatte. Wann hatte Ed das bemerkt? Sie hatten ihn
ein- oder zweimal zum Essen eingeladen, und er hatte sich
mit drei Karten für Camelot mit Julie Andrews revanchiert.
«Er könnte Recht haben», sagte sie. «Du solltest deiner
Kreativität eine Chance geben.»
    «Welcher Kreativität?»
    Er hatte sich ihr in Mathematik immer unterlegen ge-
fühlt, erdgebunden, relativ unklar im Denken, obwohl er
am MIT recht gut abgeschnitten und bei IBM zuverlässig
Gehaltserhöhungen bekommen hatte, selbst als die Kos-
ten für die riesige, riskante neue Produktpalette stiegen.
Er bedauerte es und war in einem Winkel seines Herzens
zugleich erleichtert, dass sie ihre Doktorarbeit zu dem Sta-
pel alter Symphoniekonzertprogramme und Zeugnisse der
Buckingham, Browne & Nichols-Schule gelegt hatte – nie-
mand will eine Frau, die klüger ist als man selbst. «Du hast etwas Künstlerisches», sagte sie und errötete bei der un-
gewohnten Übung, ihren Mann zu bewerten. «Du schlen-
derst gern durch die oberen Räume des Metropolitan Mu-
seum und drüben durchs Modern Art.»
    Ihr dünnhäutiges Gesicht, dessen Fleisch die Knochen
zart maskierte, errötete bei dem körperlichen Aufruhr der
Schwangerschaft noch leichter als sonst. Obwohl diese
chronisch auftretenden Wölbungen ihn an die Rolle des
Versorgers fesselten, liebte er den Anblick ihres geweite-
ten Körpers – den Bauch, den er mit Öl einrieb, um die
Schwangerschaftsstreifen zu mildern, die Art, wie ihre ge-
wohnte Geistesabwesenheit in hormonell bedingte Träu-
mereien einging und wie sie immer breiter wurde, was ihr
Gesicht, ihre Brüste und ihre Hinterbacken einschloss. Sie
erlaubte ihm, sie in der Löffelstellung zu ficken, als das
Gewicht seines Körpers auf ihr zu schwer wurde. Sie rück-
ten näher aneinander – sie beide, in dieser unsichtbaren
Gegenwart des Dritten –, und auch Gregory und Iris rück-
ten näher zusammen und patschten vorsichtig mit ihren
kleinen viereckigen Händen auf die spiegelglatte Wöl-
bung des Bauches ihrer Mutter, den vorgestülpten Nabel
und die braune Mittellinie. Dies war Wirklichkeit – Bio-
logie am Wirken, ein pochender, gurgelnder Prozess, bei
dem das Ohr lauschen konnte. Das unbekannte Tier da
drinnen trat gegen Owens Handfläche – es waren nur ein
paar dünne Schichten von Phyllis dazwischen. Wie schade,
dachte Owen damals dunkel und später deutlicher, dass
junge Paare, besorgt und mit sich selbst beschäftigt, sich
von diesem von ihnen vollbrachten Wunder ablenken las-
sen.
    Die Jahre, in denen sie sich fortpflanzten, lagen vor der
Zeit der gemeinsam besuchten Geburtsvorbereitungskur-        se und des intensiven pränatalen Interesses an dem Fötus;
Phyllis rauchte abends eine Zigarette, die eine Hand auf
den vorspringenden Bauch gestützt, und balancierte ein
Glas Wein auf derselben praktischen Ablage. Owen war
stolz, dass seine Frau das Kinderkriegen so natürlich und
mühelos bewerkstelligte; solange die Schwangerschaften
andauerten, war die Vorstellung der Untreue ungeheuer-
lich. Etwas Primitives in ihm verehrte sie in ihrer Frucht-
barkeit, obwohl es sie beide zu Sklaven der nächsten Ge-
neration machte. «Ed sagt», sagte sie zu ihm, «du hast
eine große Visualisierungsgabe für räumliche Relationen.
Du siehst die Programme wie Zeichnungen in deinem
Kopf.»
    «Tut das nicht jeder?»
    Sie wurde nachdenklich, zog die Backen ein und kräu-
selte die trockenen Lippen. «Ich glaube, für die meisten
Menschen ist Mathematik etwas, das sie sich bildhaft nicht
mehr vorstellen können. Du bist sehr an deine Sinne ge-
koppelt, Owen.»
    Er hörte das mit Widerwillen, denn seit er Kinder hatte,
waren in ihm seine kindlichen Vorahnungen vom Sterben
wieder erwacht, und wenn ihm am Sterben etwas klar er-
schien, dann, dass man höchstwahrscheinlich seine

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