Landluft für Anfänger 01: Großstadtmädchen haben's schwer
Skype.«
»Telefonieren stört die Mitreisenden«, versucht sie dagegenzuhalten. Doch dann folgt ihr Blick meinem und landet auf meinem Nachbarn. Meine Schulter scheint eine magische Anziehungskraft auf seinen Kopf auszuüben. Mit herabhängender Unterlippe schnarcht er mir zärtlich ins Ohr.
»Ein Glas Sekt?« Jetzt hat sie Mitleid. Mitleid. Kann ich nicht ausstehen. Außerdem: Ich trinke nicht, obwohl ich unter diesen doch besonderen Umständen …
»Nein danke.« 0,2 Liter Sekt haben etwa 160 Kalorien. Braucht kein Mensch.
13:10. In Mattis Auto an der Unfallstelle
Mann. Was ist der Typ nur für ein Arsch, dem dieser Lieferwagen gehört. Dem hätte ich einen qualvollen Tod fast schon gegönnt. Leider waren das einzig Tote in seinem Wagen die glupschäugigen Fische im Plastikeimer. (Mia, so was denkt man nicht, das gibt schwarze Flecken auf der Seele. Und schlechtes Karma. Pff, schlechter geht ja wohl schon gar nicht mehr.) Kommt da quicklebendig in seiner lächerlichen Anglerhose und einem Metallica-T-Shirt (!) angeschlendert, begutachtet den Schaden und sagt lakonisch: »Das wird teuer«. (Und will das zwischen UNSEREN Versicherungen klären! Haha.) Richtig wütend ist er aber erst geworden, als ich ihn darauf hingewiesen habe, dass SEIN Auto unrechtmäßig aus dem Feldweg auf die Straße rage und er somit mindestens eine Mitschuld habe. »Und was ist damit?«, hat er gefragt. Ja, was ist damit? Zuerst habe ich nicht kapiert, warum dieser Haufen geborstenes Plastik am Straßenrand ein entlastendes Indiz für den Typen sein soll. Tja. Die Warnschilder muss ich beim Wühlen nach dem Handy wohl auch übersehen haben. Eins zu null für ihn. »Vielleicht können wir das ja unter uns klären, Ihr Auto ist ja auch nicht mehr ganz neu …«, habe ich gesagt und ihn so gewinnend wie möglich angeplinkert. Aber da war nichts zu machen! Erst musste ich mir Beleidigungen anhören. (Ob ich »keene Augen im Kopp« hätte. Und: »Typisch Wessi, immer schön hochnäsig.« Woher will der denn wissen, dass ich …? Na ja.) Und dann outete sich der Typ selbst als Korinthenkacker, als er mit Blick auf meine Füße meinte, barfuß Autofahren ginge gar nicht, das wäre fahrlässig und könne leicht noch `ne Anzeige geben. Er hätte jetzt gerne meine Nummer. Und meine Ausweispapiere. (Normalerweise lächeln Männer, wenn sie nach meiner Nummer fragen. Aber hier komme ich mit Charme nicht weiter. Ich sage nur: Metallica-T-Shirt.) Wo ist denn jetzt mein verdammter Perso? Mia, wie kann man ein Auto innerhalb von knapp zwei Stunden so vermüllen! Jetzt fang bloß nicht an zu heulen. Ah, da ist er ja. Mein Pass. Und meine Visitenkarte: Mia Mann. Bildredakteurin. Beim Magazin PINK. Davon kann der ja wohl nur träumen. Ob ich ihm die auch gebe? Hm, ich bezweifle, dass Pop, Style und Politik den beeindrucken. Wie hoch ist hier auf dem Land eigentlich der Anteil von Rechtsradikalen? – Wenn man von Landeiern spricht: Da kommt noch so einer angefahren. Im Landrover, was sonst, oh je, die scheinen sich zu kennen!
13:20
Der andere Typ macht jetzt Fotos. Kein Rechtsradikaler, sieht ziemlich gut aus, soweit ich das von hier aus beurteilen kann. Ich bin sicher, dass sie über mich reden. Das hippe Stadtmädchen mit ihrem dünnen Sommerkleid hat das Auto ihres Mitbewohners zu Schrott gefahren. (Mattis Saab lässt sich nicht mehr starten.) Mir ist zum Heulen zumute. Und ja, ich friere! Aber ich werde nicht weinen. Die Blöße gebe ich mir nicht. Freizeichen. Wie sag ich’s Matti nur??
14:10 Im Landrover des schönen Fremden kurz vor Feulenitz
Tja. Jetzt habe ich doch geheult. Kaum habe ich Mattis vertraute Stimme gehört, ging’s los. Was soll ich machen, Matti ist irgendwie Heimat. Warum kann ich mich nur nicht in den verknallen? (An Hemdkragen unter Strickpullis sollte man sich doch gewöhnen können.) Matti hat bei meinem Geblubber zuerst überhaupt nichts verstanden. Der Froschmann (er heißt übrigens Maik, was bitte ist das für ein Name!) und sein (wie ich jetzt beim näheren Hinsehen bestätigen muss: ziemlich gut aussehender) Freund haben blöd zu mir rübergeguckt, wie ich da am Straßenrand stand und mir den Triefrotz von der Nase gewischt habe. Ziemlich peinlich. Matti war zum Glück gar nicht sauer, sondern nett wie immer. Ich soll das Auto in eine Werkstatt bringen lassen, der Fahrzeugschein wäre im Handschuhfach. Den Rest könnten wir dann heute Abend bei der Party besprechen. Lauras Abschiedsparty. Da musste ich fast wieder
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