Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
der Artischockenbauer, murmelt, dass er und seine Frau jetzt in einer kleineren Wohnung in ihrem großen Haus leben, weil Sohn und Familie mehr Platz brauchen. Mauro brummelt, Eddi wolle, dass er nun auch für den zweiten Sohn eine Wohnung komplett saniert. Camillo meint, die Frauen wollten es ja alles so.
Sein Sohn sagt gar nichts, bis er panisch schreiend aufspringt. Der von Kopf bis Fuss Tätowierte im Muscle-Shirt, nur der kahl geschorene Schädel blieb von der Tinte verschont, läuft vor einer Wespe davon. Ist er allergisch? Nein.
Camillo schaut ihm nach. „Er will das Haus hier wohl nicht erben“, philosophiert er leise. „Na ja, erben wohl schon“, korrigiert er sich, „aber dann gleich verkaufen. Er hat einfach keinen Sinn für die Natur.“
Ansonsten wenig Neues unter der trägen Hitze.
Unsere halb erfrorenen Olivenbäumchen haben tatsächlich wieder kleine Kronen und Camillo hat zehn Kilo unreifer Kirschtomaten abgeliefert. Schuld ist ein kleiner Krieg mit Luca. Der hilft im Garten und wird in Naturalien bezahlt. Damit der nun nicht zu viele Auberginen, Zucchini, Gemüsezwiebeln und eben Kirschtomaten mit nach hause nimmt und damit überbezahlt wäre, erntet Camillo sein Gemüse immer unreifer. Sein Motto: Wo nix ist, kann keiner was wegnehmen.
Nun reihen sich auf unserer Terrasse Tabletts voller grüner Tomätchen aneinander, die ich Tag für Tag morgens raus und abends rein trage. Ob die reif werden?
Der Vorratsraum ist voll mit Tomaten unter Öl, Tomaten als Sauce und getrockneten Tomaten. Aber wegwerfen der grünen Dinger geht nicht. Irgendwie werden hier alle Naturprodukte sehr wertvoll.
XXXVII
Im Sommer wird gefeiert . Das meiste Gemüse ist abgeerntet, Wein und Oliven sind noch nicht reif und auch sonst gibt es wenig zu ernten. Die Natur dörrt vor sich hin. Holz darf wegen der Feuergefahr nur im Winter gemacht werden. Es reicht eine abgestellte heiße Kettensäge, um trockene Blätter in Brand zu setzen. Vor wenigen Tagen sahen wir von der Terrasse aus eine Kilometer breite Feuerwand hinter Massa Marittima, die viel Wald und den Anbau eines Hotels zerstörte. Die dortigen Waldbewohner wurden samt Hunde, Katzen, Pferde und Ziegen zum Dorfplatz von Fenice Capanne evakuiert, wo sie viele Stunden unter sengender Sonne ausharren mussten. Beide Straßen nach Massa waren von bis zu zwanzig Meter hohen Flammen versperrt. Schuld war ein Bauer, der nur für wenige Minuten seinen laufenden Traktor parkte, um nach seinen Ziegen zu sehen, die unter Olivenbäumen grasten.
Heute sind wir zum Festmahl bei den Jägern. Unter Camillos Kastanien steht das ganze Jahr ein riesiges grünes Zelt. Hier treffen sich die Jäger, hier werden erlegte Wildschweine vom Tierarzt begutachtet, hier werden die Tiere ausgeweidet, hier wird die Beute geteilt. Und einmal im Jahr wird hier gefeiert. Lange Tische sind liebevoll eingedeckt. Meri, die Bäuerin bei der wir Wild- und Rehfleisch kaufen, hat eine Woche lang mit ihrer Schwester ein Sechs-Gänge-Menü für 144 zahlende Gäste vorbereitet. Der Erlös füllt die Jägerkasse.
Auf vier herbeigeschafften Gasherden werden Gemüse und Saucen erwärmt, 15 Kilo hausgemachte Tagliolini und 432 handgeformte, mit Ricotta gefüllte Tortelli gekocht.
Auf den verchromten Tischen, auf denen sonst die blutigen Wildschweine liegen, werden auf 144 Tellern 720 Crostini, mit selbst kreierten Cremes bestrichen - aus Artischocken, Leber, Oliven und natürlich Zucchini.
In zwei überdimensionierten Kühlschränken stapeln sich 200 Dessertschälchen, Nachschlag eingerechnet, mit einer kunstvoll geschichteten Zuppa inglese und 18 Torten. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass Meri und ihre Schwester auch diese selbst gebacken haben. In blauen Wassertonnen werden 20 Wassermelonen kühl gehalten.
Vor dem Zelt steht Sergio, Meris Mann, mit seinen Jägerfreunden am Grill. Die Umgebung wird immer wieder gewässert, um sprühende Funken gleich zu löschend. Beruhigend.
27 Kilo Bratwürstchen, Koteletts und Hühnchen liegen auf dem Grill, bis sie, ein wenig verkohlt, serviert werden. Kein Wunder, die Grillmeister mussten immer wieder umschulen und als Kellner große Tabletts durch die Tischreihen balancieren.
Zwischen den Gängen lerne ich von meinem Tischnachbarn, einem gemütlichen Mann mit roten Wangen, wie ich aus drei Kastanienblättern ein Sonnenhütchen bastele.
Vor dem Dessert
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