Landpartie mit drei Damen
schwammen.
In dieser azurblauen Weite saß Lady Chalford und wartete darauf, aus einer exquisiten goldenen Kanne Tee einzuschenken. Sie erinnerte stark an Whistlers Porträt seiner Mutter.
6
Wenn Lady Chalford wie ein Relikt aus vergessenen Zeiten, wie ein antikes Museumsobjekt erschien, so lag das weniger an ihrem hohen Alter als vielmehr daran, dass sich an ihrer Sprache, ihrer Kleidung und ganzen Haltung seit der Vorkriegszeit nichts geändert hatte. 1914 war der Abend ihrer Tage angebrochen, obwohl sie noch in der Blüte des Lebens stand.
Der furchtbare Weltkrieg hatte jedoch wenig oder nichts mit ihrem frühen Verfall zu tun, er wurde von der katastrophalen Ehe ihres einzigen Sohnes völlig in den Schatten gestellt. Auch sein Tod im Jahre 1920, Folge einer am Tag vor dem Waffenstillstand erlittenen Verwundung, war ein geringeres Desaster als seine Scheidung. Für seine Eltern war es unerheblich, dass sich Lord Malmains von seiner Frau hatte scheiden lassen. Ihre Schande war die seine und die seiner Eltern, und in den Adern der Erbin ihrer Ländereien und Titel floss das hässliche Blut einer Ehebrecherin. Noch nie war dergleichen im Hause Malmains vorgekommen, nicht der Schatten eines Makels lag auf den stolzen, ehrgeizigen Häuptern, deren Bildnisse in der Chalford’schen Porträtgalerie von rosafarbenen Brokatwänden herabschauten.
Seit jenem Desaster hatte Lady Chalford nie mehr das Anwesen verlassen. Lord Chalford war, geschützt von seinem Panzer totaler Taubheit, bis ihn unlängst der Schlag traf, seinen Pflichten als Mitglied des Oberhauses gewissenhaft nachgekommen, hatte in London aber stets in seinem Klub übernachtet, sodass seit nunmehr sechzehn langen Jahren kein menschliches Auge mehr die fast überirdische Schönheit von Malmains Palace in Cheyne Walk erblickt hatte, ausgenommen der Hausverwalter.
Eugenia war nach dem Tod ihres Vaters als Dreijährige in die Obhut ihrer Großeltern gegeben worden. Diese konnten ihr nie verzeihen, was ihre Mutter gewesen war, und sie behandelten das arme Kind mit einem Argwohn, der im Laufe der Jahre durch eine Art sorgenvolle Zuneigung gemildert wurde. Glücklicherweise machte Eugenias Erscheinung es ihnen leichter. Die Frauen im Hause Malmains waren seit jeher hochgewachsene blonde Göttinnen, und Eugenia erinnerte in keiner Weise an die sündige Schwiegertochter. Nun, da sie volljährig geworden war, stellte sie ein Problem dar, das Lady Chalford viel Kopfzerbrechen bereitete. Wie sollte es mit ihr weitergehen? Sie in die Londoner Gesellschaft einzuführen kam nicht infrage, wie konnte eine anständige Mutter das Kind der Schande einladen, ein anständiger junger Mann ihr einen Antrag machen. (Lady Chalford hatte, wie man sieht, ein etwas pessimistisches Bild von der Einstellung der modernen Londoner Gesellschaft gegenüber Erbinnen.) Eugenia musste jedoch heiraten, Chalford House mitsamt dem Titel, den sie bald von ihrem Großvater erben würde, musste einen Erben haben.
Diese Probleme plagten Lady Chalford Tag und Nacht, und so hatte sie sich genötigt gesehen, Eugenia über die beiden jungen Fremden zu befragen, mit denen sie auf dem Dorfplatz so ungeniert gesprochen hatte. Wären es geeignete Freunde für Eugenia, hätten sie gewiss darauf gewartet, mit ihr bekannt gemacht zu werden, bevor sie das Wort an sie richteten – und doch waren sie vielleicht durch eine gütige Vorsehung nach Chalford gekommen. Lady Chalford war geneigt, das für möglich zu halten, als sie erfuhr, dass es sich bei einem der beiden Herren um Mr Jasper Aspect handelte, dem Enkel – wie sie dem Debrett entnahm, ja, da stand es –, dem Enkel ihres alten Freundes Driburgh und Sohn dieser entzückenden kleinen Lady Venetia. Ihre Freude war grenzenlos, endlich jemand ihresgleichen, endlich würde sie jemanden konsultieren können, der ihr ebenbürtig war. Übermütig preschten ihre Gedanken voraus – sogar wenn er Eugenia ehelichen wollte, wäre es eine absolut geeignete Verbindung, denn die Aspects waren zwar alles andere als reich, aber eine alte Familie mit untadeligem Stammbaum.
Die Vorfreude, mit der Lady Chalford der Begegnung mit Jasper entgegensah, steigerte sich indes noch erheblich, als ihr klar wurde, um wen es sich bei Poppy handelte. Sie war ein Mitglied ihrer eigenen Familie, eine verheiratete Frau, eine Frau von Welt; Poppy würde ihr gewiss raten können, welches die besten Schritte wären, um ihrer Enkelin eine glückliche Zukunft zu ermöglichen. Nun
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