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Landpartie mit drei Damen

Landpartie mit drei Damen

Titel: Landpartie mit drei Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Mitford
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Unterholz, hinter dem sich der Treffpunkt verbarg. Da keine Antwort zu hören war, nahm er an, dass Anne-Marie nicht hatte kommen können. Doch dann sah er sie auf den Stufen des Tempels, ein Häuflein Elend, und schon bald weinte sie sich an seiner Schulter ihren ganzen Kummer von der Seele.
    »Darling, ich verstehe wirklich nicht, warum das so wichtig ist«, sagte er schließlich, als er von dem Grund des ganzen Elends erfahren hatte. »Natürlich wäre ein gemeinsamer Auftritt schön gewesen, und es ist rührend von dir, dass es dir so viel ausmacht, aber weißt du, Lady Marjorie hat recht. Mr Wilkins ist der leibhaftige Doppelgänger von George III. Fand ich ziemlich witzig, dass ihr das aufgefallen ist.«
    »Ach, du verstehst nicht«, schluchzte Mrs Lace. »Es geht mir nicht um dieses dumme Kostümfest, obwohl ich mich so auf unseren gemeinsamen Auftritt gefreut hatte.«
    »Was ist es dann, mein Schatz?«, sagte Noel, dem diese Szene allmählich auf die Nerven ging.
    »Ich bin so furchtbar, furchtbar unglücklich.«
    »Aber Darling, warum denn?«
    »Du bist so herzlos zu mir. Ich ertrage es nicht mehr.«
    »Herzlos?«
    »Diese ganze Geheimnistuerei.«
    »Welche Geheimnistuerei?«
    Inzwischen hatte sich Mrs Lace mehr oder weniger wieder gefangen. Sie wusste, dass sie mit Tränen in den Augen vorteilhaft aussah, solange sie nicht zu viel weinte. Daher hörte sie meist im psychologisch richtigen Moment auf. So verfuhr sie auch jetzt, sie kämmte sich das Haar, puderte sich die Nase und warf Noel von Zeit zu Zeit einen tränenverhangenen Blick zu. Den Ausdruck auf seinem Gesicht deutete sie als Warnung, es nicht zu übertreiben. Tatsächlich rief er sich bloß in Erinnerung, dass alle Frauen gern einmal weinen. Das war eine Steuer, die ein Liebhaber zu entrichten hatte. Er hoffte, sie würde es rasch hinter sich bringen, und ermahnte sich zur Geduld.
    »Darling«, fuhr sie fort, »es ist ganz schrecklich, dass du nie etwas über dich erzählst.«
    Typische Beschwerde, dachte Noel. »Mein Schatz«, sagte er, »es gibt wirklich nicht viel zu erzählen. Die Geschichte meines Lebens ist furchtbar langweilig, glaub mir.«
    »Mich interessiert einfach alles an dir, noch die belanglosesten Details!«, rief Anne-Marie leidenschaftlich.
    »Nun«, sagte Noel mit jener bemühten Munterkeit, die ein so unattraktiver Zug an ihm war, »fangen wir mit dem Anfang an? Ich wurde als Sohn armer, aber ehrlicher Eltern geboren …«
    »Wo?«
    »Wo ich geboren wurde? Ich weiß es nicht genau, irgendwo auf dem Balkan. Mein Vater war Archäologe, weißt du, er und meine Mutter sind in den ersten Ehejahren in diesem Teil des Kontinents umhergezogen. Es muss schwer für sie gewesen sein, denn ich war eine Frühgeburt, und es dauerte ewig, bis sie einen Arzt fanden. Beide waren immer schrecklich vage.«
    »Ja, ich verstehe. Und wo bist du zur Schule gegangen?«
    »In England natürlich. Nach Kriegsausbruch waren meine Eltern gezwungen, sich in Hampton Court niederzulassen, ich war auf einer Privatschule und in Eton, wie das eben üblich ist. Sie wollten mich zum Studieren ins Ausland schicken, aber es gab einige Komplikationen, und schließlich bin ich in Oxford gelandet.«
    »Und deine Eltern sind nie mehr zurückgekehrt?«
    »Nein. Nach dem Krieg fanden sie, sie seien zu alt (sie hatten ziemlich spät geheiratet). Außerdem hatte sich alles verändert, sie wollten lieber in Hampton Court bleiben. Inzwischen sind beide tot.«
    Für Mrs Lace bestätigte sich durch dieses Gespräch ein Verdacht, den sie schon eine Weile hegte. Noel musste der rechtmäßige König eines Ruritanien sein, der sich in der Abgeschiedenheit eines englischen Dorfs auf den Staatsstreich vorbereitete, durch den er seinen rechtmäßigen Thron zurückgewinnen würde. Jeden Tag konnte der Kurier eintreffen und melden, dass die Zeit reif sei, Volk und Armee bereit, ihn im Land seiner Väter willkommen zu heißen. Die beiden Fremden, die sie im Jolly Roger bemerkt hatte, waren gewiss seine Leibwächter. Ihre absolute Unkenntnis der politischen und geografischen Verhältnisse Mitteleuropas und ihre lebhafte Fantasie erlaubten ihr, diese Theorie als erwiesene Tatsache anzusehen; nie hatte sie auch nur den leisesten Zweifel.
    »Und was hat dich nach Chalford geführt?«, fragte sie kühn.
    Noel schaute verlegen. Seine wahren Motive würde er kaum erklären können. Er fragte sich, ob Mrs Lace mit Jasper darüber gesprochen und, wenn ja, welchen Eindruck sie gewonnen

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