Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Titel: Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Otto Dov Kulka
Vom Netzwerk:
letzten Verurteilung auf die gesamte Menschheit geschleudert.
    Das zweite Gedicht – »Fremdes Grab« – ist eine Elegie, die keine Szenen aus Auschwitz selbst enthält. Die Dichterin hält die Totenklage um ein Zeitalter im Schicksal Europas, die sich zu einem Crescendo der Trauer und des Aufschreis um das sinnlose Massentöten zweier Weltkriege steigert, das aufeinanderfolgende Generationen von Europas Jugend niederstreckte.
    Das dritte Gedicht – »Lieber sterb ich« – ist eine scharfe Konfrontation mit der Frage, ob Gewalt und Blutvergießen durch Gewalt und Blutvergießen beantwortet werden sollten. Das letzte Vermächtnis der unbekannten Dichterin ist ihre Wahl, den Weg der Gewalt und die Besudelung ihrer Hände durch Blut zurückzuweisen, selbst als Widerstand in den letzten Stunden derer, die zur Vernichtung bestimmt waren.
    Wir, die Toten, klagen an!
    Kein Kreuz steht modernd über unserm Grabe,
Grabhügel werfen keine Schatten hin.
Kein Blumenkranz hängt überm Eisenstabe,
kein Eisenstab, auf dem zwei Engel knien,
    Nein, keine Weide, kein geweihtes Kerzlein,
das unser Grab mit seiner Zunge streift.
Wir faul’n in Gräbern unter feuchtem Kalkstein,
durch den der Wind in unsre Knochen pfeift.
    Gebleichte Schädel hängen hilflos gähnend
auf Stacheldrähten, die ums Lager gehen.
Und unsre Asche schwimmt in Erdenkähnen,
in tausend Urnen über Aschenseen.
    Wir schließen eine Kette um die Erde,
sind windverwehte Saat im Tale
und zählen Tage, Monde, Jahre.
Wir warten in stumm und duldender Gebärde.
    Wir werden immer mehr. Und immer schneller
quell’n unsre Leiber, wachsen unentwegt,
bläh’n Eure Felder, füllen Eure Keller,
bis unsre Last durch Eure Erde schlägt.
    Dann steigen wir in düstern Reihen hinan,
Schädel an Schädel, Bein an Bein,
und allen Völkern schreien wir ins Gesicht:
Wir, die Toten, klagen an!
    Aus dem Tschechischen übertragen von Valter Vergeiner
    Fremdes Grab
    Ein schiefes Kreuz und ein geborst’ner Helm,
der Boden ausgedorrt von Wind und Glut,
im Grabe unterm Wachturm, halb zerspellt,
als Fremder in der fremden Erde ruht
Europas Jugend, die der Tod gefällt.
    Schon halb verweht, vom schüttern Kreuz der Birke,
verwandelt sich das Grab in Eitergrind.
Hier in der Ferne zwischen bleichem Bein
begraben auch die Ideale sind
von zwanzig Jahren, herb wie junger Wein.
    Kein Mahnmal wird an diesem Ort vermisst,
hier auf dem öden Grab im stillen Feld,
denn über alle Eisenkreuze hin
ohn’ Unterlass des Grabes Klage gellt
vom frühen Sterben ohne Zweck und Sinn.
    Doch wer, wenn einst der Sturm vorüberzog,
wer wird begreifen, wer begreift dann wohl,
dass faulend hier aus fremdem Grabe starrt
– für wessen Utopie und Wahnidol? –
Europas Jugend, die verraten ward.
    Aus dem Tschechischen übertragen
von Max Zimmering
    Lieber sterb ich
    Ich weiß: die großen Worte.
für die gestorben wird,
die Worte, die entflammen,
und feig, wer sie nicht hört,
wenn man die Scharen sammelt
zur Fahne und zum Schwert.
    Doch wer sie kennt, die Mütter,
alt und allein für immer,
die Kinder ohne Väter,
nein, der glaubt ihnen nimmer.
    Ich weiß: die großen Taten,
sie fordern große Opfer.
Ich weiß: der Heldenruhm,
er heiligt und er weiht
Profit sinnloser Kriege
für lange Flautezeit.
    Doch wer es je gesehen,
wie Kathedralen untergehen,
die Städte, im Feuer zerschlagen,
dem werden sie nichts sagen.
    Ich weiß: die großen Männer,
sie fordern Ewigkeit und schreiben
mit Blut sich in die Zeit.
Zu viele sind’s landauf landab,
und unter Ehrenlinden zu finden
ist allerorts ihr Grab.
    Doch wer in blutgen Krämpfen
unter des Todes Messer
Verwundete sah kämpfen,
der kennt sie noch viel besser.
    Ich weiß: bin klein und nichtig
vielleicht ein böser Wicht.
Ich weiß: Hier meine Worte,
gefährlich Gift ihr Klang,
sie machen euch zunichte
den heldischen Gesang.
    Und trotzdem – lieber sterb ich,
spuckt mir nur ins Gesicht,
zum Feigling lieber Mut,
als an den Händen Blut.
    Aus dem Tschechischen übertragen
von Kristina Kallert

7

Reise zur Satellitenstadt der
Metropole des Todes
    Alles bisher Gesagte waren Beobachtungen meiner selbst. Genauer gesagt, es waren reflektierende Betrachtungen meiner damaligen Umgebung und dessen, was dort geschah, Betrachtungen von einschneidenden Episoden, aber gesehen durch das Prisma der Landschaften der Metropole des Todes.
    Nun muss ich den Mut aufbringen, mich auf die Reise in jene Gegenden zu begeben, die scheinbar jenseits davon liegen. Eine Reise, die einen

Weitere Kostenlose Bücher