Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)
all dies für immer der Prüfstein der Schönheit sein, ungeachtet all der Landschaften, die ich – wie soll ich sagen – auf ewig in mich aufgenommen habe und vielleicht noch aufnehmen werde. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir bleibt bis zu diesem »ewig«, aber ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass ich immer hierher zurückkehren werde. Diese Rückkehr, auch wenn sie losgelöst ist von der düsteren Rückkehr, aus der es keinen Ausweg gibt, ist in sich eine Rückkehr ohne Ausweg. Die Farbe ist die Farbe der Kindheit, eine Farbe der Unschuld, eine Farbe der Schönheit. Und auch das ist ein unabänderliches Gesetz, aus dem es kein Entrinnen gibt. Man entrinnt der Schönheit nicht, dem Gefühl der Schönheit, auf dem Höhepunkt und inmitten des Großen Todes, der alles beherrscht.
9 Das Gnadentor, auch bekannt als das Goldene Tor, ist eines der wichtigsten Tore der Jerusalemer Altstadt. Es wurde in der byzantinischen Periode erbaut und während der Errichtung der Stadtmauer durch die Otto manen im 16. Jahrhundert von innen und außen versiegelt. Nach jüdischer und christlicher Tradition ist es das Tor, durch das der Messias Jerusalem betreten wird.
10 Das bis heute unveränderte riesige Areal des Tempel berges wurde im ersten Jahrhundert vor der Zeitenwende von König Herodes im Rahmen des großartigen Umbaus des zweiten jüdischen Tempels geschaffen. Im großen jüdischen Krieg gegen Rom im Jahr 70 wurde der Tempelberg belagert, nach blutigen Kämpfen erobert und der jüdische Tempel zerstört. Zu derselben Zeit wurden Jerusalem und der zweite Tempel der histo rische Schauplatz der Entstehung des Christentums, und die Tat der Zerstörung des zweiten Tempels und das Exil der Juden bildeten einen Bestandteil der christlichen triumphalen Substitutionstheologie. All dies schwebte mir vor Augen, als ich über den Tempelberg schritt.
11 Islamischen Legenden zufolge wird der jüdische Messias, der der Priesterfamilie, den » Kohanim«, entstammt und Jerusalem durch dieses Tor betreten wird, nicht kommen können, solange dort Gräber sind, die er als Kohen aufgrund ihrer rituellen Unreinheit nicht betreten darf. Das ist der Grund, so die Legenden, dass außerhalb des Tores ein muslimischer Friedhof eingerichtet wurde, der bis heute besteht.
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Ströme, die nicht zu überqueren sind,
und das »Tor zum Gesetz«
Diese Bilder vom blauen Himmel und von schwarzen Menschenkolonnen, die in den Krematoriumsanlagen verschwinden und in Rauchwolken aufgehen, die Korridore des Lichts zu der Metropole des Todes, die Begriffe »Metropole des Todes« und »Heimat des Todes«, all dies, mir so vertraut, sind meine Kindheitslandschaften, in die ich mich flüchte und in denen ich eine Art Freiheit genieße, behütet durch das unabänderliche Gesetz der alles durchdringenden Herrschaft des Todes, durch die Schönheit von Sommerlandschaften – all diese Dinge sind Teil meiner privaten Mythologie, deren ich mir stets bewusst bin, einer Mythologie, die ich erfunden habe, die ich erschaffen habe, mit der ich spiele und – ich würde nicht einmal sagen, dass ich davon gequält werde, weil sie mich eben nicht quält – in der ich Zuflucht finde, wenn andere Dinge mich verfolgen, und sogar, wenn sie es nicht tun.
Diese Heimat existiert und ist mir jederzeit zugänglich. Aber sie ist ein Mythos, sie besitzt eine eigene mythologische Sprache, und was ich hier tue, steht eigentlich all meinen Entscheidungen, all meinen Gefühlen, dem ganzen Bewusstsein der eigenen Grenzen beziehungsweise dem, was ich früher als Grenzen ansah, entgegen: Grenzen der Sprache, vor allem was meine Fähigkeit anbelangt, diese mythologischen Landschaften in kommunizierbare Landschaften zu integrieren. Meine Zweifel oder meine Weigerung, diese Landschaften mit irgendeinem anderen Aspekt meines Alltagslebens zu vermischen, und auch meine intellektuellen Bemühungen, die Welt zu begreifen und zu erklären – was ich als Lehrer in einer angesehenen akademischen Einrichtung beinahe täglich tue, so gut ich kann, in einer jener Einrichtungen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die menschliche Existenz in der Vergangenheit und in der jüngeren Vergangenheit, mein Spezialgebiet, zu deuten und ihr Bedeutung zu verleihen – all dieses Trennen und Vermeiden, die eine Sphäre mit einer anderen zu vermischen, entsprangen einem unabänderlichen Entschluss und waren mir immer eine Wegleuchte.
Bis hierhin haben mich nur die Seiten meines Tagebuches auf den Reisen in
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