Landy, Derek - Tanith Low - Die ruchlosen Sieben
Obwohl es so kalt war, trug er nur einen Lendenschurz.
„Ist schon in Ordnung, ich warte hier, bis du eine Hose angezogen hast“, sagte Tanith.
„Was willst du?“, fragte der alte Mann. Anscheinend war ihm nicht bewusst, dass er mehr Lende als Schurz trug.
„Ich will den Speer“, antwortete Tanith. „Gibst du ihn mir? Es kostet mich ziemlich viel Mühe, nicht an dir herunterzuschauen. Dafür kannst du mir wenigstens den Speer geben.“
„Der Speer ist unverkäuflich.“
„Ich hatte auch nicht vor, ihn zu kaufen.“ Sie zog ihr Schwert.
„So ist das. Und wenn ich ihn dir nicht freiwillig gebe?“
„Dann nehme ich ihn mir, und das wird dir nicht gefallen. Im Ernst, alter Mann, entscheide dich für den einfacheren Weg.“
„Der Speer gehört mir.“
„Jetzt bist du kindisch.“
„Es ist eine zu mächtige Waffe, als dass sie in die Hände einer so jungen, impulsiven Frau fallen dürfte. Du solltest nach Hause gehen. An dieser Küste erwartet dich nur der Tod. Das Töten macht mir keine Freude, auch wenn ich es gut kann.“
„Mir gefällt, wie du redest“, meinte Tanith.
„Wenn dir meine Worte gefallen, beherzige sie und lauf. Zwing mich nicht, eine so junge Frau wie dich zu töten.“
„Ich bin älter, als ich aussehe“, erwiderte Tanith und sprang. Crab stieß mit dem Speer nach ihr, und sie schlug ihn mit ihrem Schwert beiseite, doch als sie wieder auf dem Boden aufkam, war Crab bereits außer Reichweite. Sie folgte ihm, als er sich von der Höhle entfernte.
„Ich sah tausend Jahre vergehen“, sagte Crab. „Ich sah Aufstieg und Fall vieler Reiche. Ich kenne die Muster, nach denen die Menschen leben, das Auf und Ab im Fluss der Geschichte. Jede Welle, die sich am Ufer bricht, glaubt, sie sei die erste. Aber es waren schon viele vor ihr da, und es werden, nachdem sie sich gebrochen hat, noch viele nach ihr kommen und zurückgezogen werden ins Meer. Ich bin ein alter Mann.“
„Und ich habe viele Lebenszeiten in mir“, entgegnete Tanith. „Ich bin die junge Frau, die du hier stehen siehst, und ein mürrischer alter Professor, ich bin ein friedfertiger Mensch und ein Killer und eine Maid und ein König und ein Bauer. Und noch ein Dutzend weitere. Du denkst, du seist alt?“ Tanith ließ ihre Lippen schwarz werden und ihre Adern hervortreten. „Du hast mir absolut nichts voraus.“
Sie griff an, doch Crab hob den Speer und blockte den Hieb ab. Sie wich zur Seite hin aus, versuchte, um ihn herumzugehen, aber Crab war flink, und die Speerspitze zischte an ihrem Gesicht vorbei. Sie wankte zurück.
„Dann tut es mir leid“, entschuldigte sich Crab. „Wer immer du früher warst, heute bist du eine andere. Jetzt bist du ein Restant, und als solcher verdienst du meine Gnade nicht. Du wirst hier, an diesem Strand, sterben. Mehr kannst du von mir nicht erwarten.“
Unvermittelt machte er einen Schritt nach vorn, und sein Speer kam so schnell auf Taniths Kopf zu, dass ihr ein Fluch entfuhr, als sie ihn wegschlug. Allerdings nicht weit genug, denn als er zurückschwang, schlitzte er ihr fast die Kehle auf. Wie eine Schlange schoss er auf sie zu – sie hatte alle Hände voll zu tun, um ihn abzuwehren. Der Sand machte die Sache nicht leichter. Sie hasste es, auf Sand zu kämpfen. Hatte es immer gehasst.
Taniths Klinge traf den Speer, sie wirbelte herum und sprang hoch, doch Crab wich aus, und der Speerschaft krachte gegen ihren Kopf. Sie ging zu Boden, rollte herum, kam wieder auf die Füße – und wurde fast vom Speer durchbohrt. Sie blockte ab, blockte erneut ab, wich zurück, als Crab vorpreschte. Der Speer zuckte einmal dicht am Boden und dann wieder weiter oben, zielte auf ihren Bauch und dann auf ihren Arm. Sie kam nicht an ihn heran. Der Speer war zu lang und ihr Schwert zu kurz.
Sie versuchte, sich mit einem Salto wegzukatapultieren, doch ihre Füße versanken im Sand, bevor sie sich vom Boden abstoßen konnte, und es gelang ihr lediglich, sich ungeschickt nach hinten zu werfen. Sie rappelte sich auf, riss sich den Mantel vom Leib und wickelte ihn um ihren linken Unterarm, als Crab erneut angriff. Indem sie den Mantel als Schild benutzte und seine Angriffe damit abwehrte, zwang sie den Alten in die Verteidigung. Jetzt war er es, der zurückwich, als ihr Schwert mit jedem ihrer Schritte näher kam. Sie sah, wie seine Augen immer größer wurden, und grinste.
Er stolperte und stürzte, sie machte eine weit ausholende Bewegung mit dem linken Arm, und ihr Mantel wickelte sich um
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