Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
durch seine Erbschuld vermacht hat. So führen Hochmut und Habgier ebenso zur Verdammnis, wie es Rachsucht und Neid oder gar die sinnlichen Ausschweifungen und der Ehebruch tun.
Überlegt doch selbst einmal: Wer einem nächsten Christenmenschen aus purer Bosheit Gewalt antäte und es zu vertuschen verstünde, wie könnten wir ihn jemals zur Rechenschaft ziehen? Er würde sein Leben weiterleben wie bisher, und niemand würde für den Geschädigten einspringen. Dem Herrn, unserem Gott, jedoch bleibt eine solche Schandtat niemals verborgen, und er wird am jüngsten Tage über die Bosheit des sündigen Menschen Gericht halten und es ihm dreimal, ja viermal vergelten.
Ebenso verhält es sich mit Völlerei und Maßlosigkeit. Was täten wir der Welt an, wenn wir allesamt nur noch der Spielsucht und dem Alkohol frönen würden? So hat uns Gott geboten, dass wir diese zügeln, denn sonst kann es kein fruchtbares Zusammensein auf Erden für uns geben ...“
Ich sah zu Hagen hinüber, der mich zornig anfunkelte, er hatte mein Augenzwinkern richtig gedeutet. Während der Pastor seine Tirade gegen die Unredlichkeit mancher Bedürfnisse von sich gab, überlegte ich, ob ein wie auch immer geartetes Fegefeuer nicht tausendmal interessanter und kurzweiliger sein musste als ein vollkommen gottgefälliges Leben. Zumindest, soweit dieses Leben nach den Ansichten im Kopf verknöcherter Geistlicher vonstatten ging.
Caspar hatte uns im Gästetrakt des Landsitzes untergebracht – ziemlich luxuriös, selbst für unsere Verhältnisse. Aber schließlich waren wir zum Arbeiten hergekommen, und so hatten Salandar und ich Hagen beinahe gewaltsam aus seinem mit Daunen gefüllten Bettzeug zerren müssen.
Nach einem deftigen Frühstück, das wir mit Caspar und Gerrit zusammen in der Küche eingenommen hatten, waren wir der Kutsche des Grafen bis in die Stadt gefolgt und dem Grafen und seiner hübschen Tochter anschließend in den Sonntagsgottesdienst, der selbst mir als gebürtigem Calvinisten sterbenslangweilig vorkam.
Schließlich jedoch fand der Pastor einen Schluss und schritt unter kräftigem Gesang der Gemeinde hinaus zur Tür, um jedem seiner Schäfchen beim Verlassen des Gotteshauses persönlich die Hand zu reichen.
So kamen auch wir in den Genuss, die Bekanntschaft des Gottesfürchtigen zu machen, als wir dem Grafen und seiner Tochter hinaus in den schon vom Grafen prophezeiten Regen folgten.
„Graf Thaddäus, welche Ehre, Sie in meinem Gottesdienst begrüßen zu dürfen.“
Der Graf ließ sich die Hand schütteln.
„Die liebreizende Anna. Es ist mir immer wieder eine Freude, sehen zu können, wie gut es der Herr doch mit der Nachkommenschaft unseres Grafen gemeint hat.“
Anna lächelte. Es sollte höfliche Bescheidenheit oder Verlegenheit ob der Worte des Kirchenmannes zum Ausdruck bringen, doch zumindest bei mir kam dieser Eindruck nicht an. Aber der Pastor mit dem grauen Lockenhaar sowie einem ziemlich ansehnlichen Offiziersschnurrbart bemerkte derart subtile Regungen in Gesichtern wohl nicht, denn ohne in seiner selbstverliebten Höflichkeit innezuhalten, wandte er sich uns zu.
„Sie haben Gäste, wie ich sehe. Darf ich diese drei Herren willkommen heißen?“
„Aber natürlich, Pastor Steinberg. Dies sind Hagen zur Mark, Lucien Croire und Salandar. Meine Herren, dies ist Pastor Johannes Steinberg. Er hat schon meine liebe Tochter getauft, und eigentlich hat er dieses Amt auch schon viel zu lange inne ... aber ich finde einfach keinen Ersatz.“
Ein Funken Unsicherheit huschte über das Gesicht des katzbuckelnden Gottesdieners, doch der Graf gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Nur ein Scherz, Pastor.“
Erleichtert gaben wir einander die Hand.
Anschließend winkte der Graf zwei abseits stehende Männer zu sich heran.
„Darüber hinaus darf – oder besser muss – ich Ihnen diese beiden Herren vorstellen. Ferdinand Rosenthal und Viktor Calaminus sind die von mir angestellten Polizeibeamten hier in Leyen. Zwei ehemalige Offiziere aus Preußen, die dem Armeedienst entsagt haben.“
Ein leichter Schauer überlief mich bei der Erwähnung dessen, was die Polizisten zuvor getan hatten – augenscheinlich war ich nicht der Einzige, dem das Soldatendasein irgendwann zuwider geworden war.
Die kleine Wache der beiden Polizisten hatte etwas häuslich Gemütliches an sich. Es gab ein Büro sowie diverse Sitzgelegenheiten. Im Obergeschoss hatten die beiden Quartier bezogen.
„Es ist ein gutes
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