Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
nachgab.
Hagen und ich rannten los, jeder in eine andere Richtung, es musste in der Küche Salz geben, wenn wir doch nur wüssten, wo die Küche war ...
Eine hektische Suche entbrannte.
„Gefunden“, hallte Hagens Stimme durch das große Haus, während ich noch durch die Bediensteten-Wohnung hetzte. Ich machte kehrt und kam im Salon an, als Hagen bereits über das Chaos besiegter Tapferer hinwegsprang, die allesamt versucht hatten, dem Geist Einhalt zu gebieten. Doch es war zu spät. Frau Ehlert lag erdrosselt auf dem Boden, und die Geisterfrau hatte sich Anna zugewandt.
„Spiel, mein Kind!“, schnarrte ihre unmenschliche Stimme durch den Raum, aber die totenblasse Anna drückte sich nur mit dem Rücken gegen die Wand, während der in der Luft flimmernde Geist sich ihr näherte.
Eine andere Frau hatte sich dem Geist genähert. Sie hielt ein Kruzifix vor sich und murmelte Phrasen in Kirchenlatein, doch die todbringende Erscheinung ließ sich nicht davon beeindrucken.
Hagen holte mit der Faust voll Salz aus und schleuderte sie nach dem Wesen, das sich erschrocken auflöste. Hagen nahm Anna bei der Hand und zog sie hinter sich hinaus.
„Raus! Alle raus!“, brüllte ich, was sich die zu Tode erschrockenen Menschen nicht zweimal sagen ließen.
Während sich der Tumult nach draußen verlagerte, half ich Salandar aus den Trümmern des Cembalos. Er stöhnte.
„Alles in Ordnung?“, fragte ich.
„Eine Menge blaue Flecken“, gab er zurück. Er schien also nicht ernsthaft verletzt zu sein.
Graf Thaddäus indes versuchte mit dem wildgewordenen Johannes Ehlert fertig zu werden, der nicht von sich aus gehen wollte. Der Graf – dem ich seine Tapferkeit angesichts der Situation hoch anrechnete – versuchte, den völlig verwirrten Mann von seiner toten Frau wegzuholen und nach draußen zu komplimentieren. Er solle sich um seine junge Tochter kümmern, dem Mädchen von gerade einmal vierzehn Jahren sitze der Schrecken sicherlich noch viel tiefer in den Knochen.
Salandar knackte mit den Gelenken und gab mir einen Stoß. Ich verstand seinen Wink, und wir nahmen die Tote an Händen und Füßen und trugen sie schnell hinaus, woraufhin uns auch des Grafen bedauernswerter Streitpartner folgte.
Draußen herrschte ein Aufruhr der feinsten Sorte. Man schrie, bettelte, weinte. Kaum zu glauben, dass diese Leute sich kurz zuvor noch bei vormittäglich verdünntem Wein und in intellektuellem Kreise an Musik erquickt hatten.
Graf Thaddäus kam auf Salandar und mich zu. „Meine Herren, ich wünsche, dass Sie dieser Gespenstererscheinung unverzüglich ein Ende setzen! Ich bezahle Sie gut, also wagen Sie es nicht, mich zu enttäuschen!“
Damit machte er kehrt, um sich um seine Tochter zu kümmern, die bei Hagen bisher in guter Obhut gewesen zu sein schien.
„Na, schönen Dank“, murmelte Salandar, während er sich die Holzsplitter vom Gewand wischte. „Das kann ja heiter werden ...“
3.
„Ich hasse Geister!“, polterte Salandar. Ärgerlich schlug er das Grimoire zu, in dem er seit Jahren Aufzeichnung über Aufzeichnung gesammelt hatte.
„Ich hasse Geister!“, wiederholte er grimmig. „Weißt du, wie schön mir mittlerweile die Stille eines Todes vorkommt, der keine Narbe auf der verstorbenen Seele hinterlässt? Wie schön muss es im Krieg gewesen sein? Jeder wusste, dass er sterben konnte. Er wurde fürs Sterben bezahlt. Quasi paradiesische Zustände, wenn du so willst.“
Dass er den Krieg erwähnte, war mir unangenehm.
„Jetzt mach mal halblang!“, sagte ich offenbar nicht nachdrücklich genug.
„Was heißt das?“
Salandar funkelte.
„Eine Frau ist tot. Ja, gut, es war eine Frau der verhassten und snobistischen Oberschicht, aber immerhin noch Mensch genug, um zu sterben. Von einem Geist erdrosselt, von dem wir weder wissen, wer er ist, geschweige denn, wer er war, noch, wo sich sein Grab befindet oder welche Umstände ihn erweckt haben. Das Einzige, das wir wissen, ist, dass es sich nicht um denselben Geist handelt, der die anderen Morde zu verantworten hat. Denn der hat seine Opfer nachweislich nicht mit einer Saite oder einem Draht erdrosselt. Stattdessen stecken wir hier fest unter der tyrannischen Bitte eines Grafen. Wir sind in der Mitte vom Nirgendwo, irgendwo am Ende der Welt, und jagen Erscheinungen, für die man uns hasst, als wären wir Schuld an ihnen.“
„Na ja, für den Bauern scheint es logisch“, kam es aus dem Ohrensessel. „Morde, Geist und euer Auftauchen fallen in denselben
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