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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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andere Kleidung, die Haare werden kurzgeschnitten oder wachsen gelassen, je nachdem, was zuvor war. Man munkelt, sie würden sogar jemanden in den jeweiligen Geburtsort schicken, der die Einträge aus den Kirchenbüchern löscht. Die gesamte Identität des Jeweiligen wird mehr oder weniger umgekrempelt.“
    Ich hob interessiert die Brauen. „So? Dort betreibt man richtige Magiewissenschaft?“
    „Zumindest hörte ich das.“
    „Wo hört man denn so etwas?“
    „An Universitäten. Dort wird unter den Studenten beständig über die sogenannten Circuli Magicae getuschelt.“
    „Gibt es viele dieser Zirkel?“
    „London, Paris, Berlin, München, Prag, Moskau, Köln ... eigentlich in jeder Stadt, die man als ziemlich groß beschreiben könnte. Manche sind nur Außenstellen eines Großzirkels. Wobei Großzirkel wahrscheinlich der falsche Ausdruck ist, denn oft gibt es nicht mehr als fünf oder sechs Personen in einem Haus. Man sagt, es seien alles verkopfte Wissenschaftler. Möglich, dass dein Freund deshalb nicht mehr dabei ist.“
    „Möglich“, sinnierte ich und dachte bitterlich an den Mann mit dem brutalen Gemüt, dem ich in Belgien begegnet war. Das Wetter war genau so schlecht gewesen wie heute. Doch nicht nur das Wetter war es damals gewesen ...
    Als Salandar wiederkam, hatte er etwas unter dem Arm, von dem sich geschmacklich herausstellte, dass es nur entfernt mit Wein verwandt sein konnte. Es war dermaßen bitter, dass sich einem die Zunge aufrollte. Jedoch war ich kein großer Weinkenner im Gegensatz zu Salandar, der seine Beute aus des Grafen Keller für eine vorzügliche Wahl hielt. Ohne Zweifel waren dem guten Tropfen Wermut und einige Bitterkräuter beigemischt.
    „Du wolltest etwas Herbes.“
    „Lenk nicht ab!“, überging ich die Spitzfindigkeit. „Du wolltest erzählen, erinnerst du dich?“
    Salandar räusperte sich. Es fiel ihm sichtlich schwer, die Sprache zu finden. Offenbar hatte man ihn einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen ... na ja, so gründlich konnte sie auch wieder nicht gewesen sein.
    So erzählte er eine Geschichte, düster und unruhig wie die Nacht, die draußen tobte.
    Ein Mann kam darin vor, der wie panisch seinem Leben entfloh. Einem Leben ausgerechnet am Bayrischen Hof, an dem er als Sohn eines Ministers von den Wundern der Magie träumte.
    Er lernte Zaubertricks, verblüffte erst die engsten Kreise und als Jüngling schließlich die Massen. Er ließ Dinge verschwinden und wieder auftauchen, verknotete und entfesselte Seile und Ringe, weissagte, spielte Kartentricks und vieles mehr. An Geld hatte es der Familie nie gemangelt, und so ging der betuchte junge Mann zum Studium der sieben Künste nach Berlin, um in den Augen seines Vaters ein würdiger Nachfolger auf dessen Sitz zu werden.
    Doch sein Vater hatte übersehen, was die Magie seinem Sohn bedeutete. Denn Magie war für ihn mehr als nur ein Taschenspielertrick. Es war die Atmosphäre der Unglaublichkeit, der Duft des Grenzenlosen, der für sich selbst genommen bereits so etwas wie Magie war.
    Wie ein Säufer, den es schon am Morgen nach dem nächsten Schluck dürstete, so dürstete es den jungen Mann nach Magie. Jeden Morgen, jede Stunde, jede Sekunde seines Daseins.
    Schließlich erfuhr er vom Gerede um die Circuli, und er ging ihm mit aller Versessenheit und mit aller Leidenschaft, die einem ein junger, träumerischer Geist bieten konnte, auf den Grund.
    Als er am Grund angelangt war, starb der Sohn des Ministers. Die Spuren seines Daseins verwehten wie ein Echo in den Schluchten des Wahnsinns. Ungeachtet aller Tränen, die seinetwegen vergossen worden sein mochten, gebar der Tod des Ministersohns einen neuen Mann.
    Salandar.
    So vermochte er, sich der wahren Magie hinzugeben und Wissen darüber zu sammeln und zu hüten.
    Doch seine Kollegen waren anders. Sie wollten mehr als nur den einen magischen Moment kosten. Sie instrumentalisierten ihr Können für ihre eigenen Zwecke und Bedürfnisse. Egoismus und der Wunsch nach Selbstbereicherung waren ihr Antrieb.
    Salandar erkannte, dass er in die falsche Richtung gegangen war. Er hatte sein Leben aufgegeben für eine Illusion und für etwas, das er in dieser Form nicht verantworten konnte. Denn er strebte nicht nach weltlicher Macht.
    So kam der Tag, an dem Salandar dem Berliner Zirkel den Rücken kehrte und nie wiederkam.
    Doch was konnte jemand wie der junge Salandar in einer Welt anfangen, die seiner nicht bedurfte? Er musste eine Möglichkeit finden, mit seiner

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