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Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)

Titel: Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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gestrichen war. Einzelne Bretter der Außenfassade waren bunt bemalt, und die Fensterrahmen wie auch die Speichen der Räder strahlten in hellem Weiß – besprenkelt vom Dreck des schlechten Wetters.
    Auf dem Bock saß eine dickliche Frau mittleren Alters. Ihr Haar war so schwarz, als hätte sie es mit Kohlenstaub gepudert, und ihre Ohren zierten große runde Ringe.
    „Ho, Roma!“, begrüßte Salandar sie. „Wohin des Weges?“
    „Brrrr.“
    Die Zigeunerin stoppte ihre beiden Pferdchen.
    „Zu einer alten Freundin“, krächzte sie mit einer vom Rauch des Lagerfeuers verdorbenen Stimme.
    „Dürfen wir mit?“
    Sie zuckte die Achseln.
    „Zwei von euch. Für mehr ist kein Platz.“
    Salandar lächelte und blickte zu Hagen.
    Der schenkte mir einen flehentlichen Blick.
    Grafentochter!
    Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ärgern sollte.
    Doch für den Augenblick war es egal, also entließen wir den Traumtänzer, und ich schwang mich mit Salandar auf den Kutschbock einer Fremden. Am anderen Ende des Wagens sprang Marius elegant über Speichen und Fensterbretter auf das Dach des absonderlichen Gefährts.
    Salandar hatte noch nie auch nur einen Hauch von Scheu besessen, Fremde anzusprechen. Gut, Hagen auch nicht, doch Salandar schien schon immer einen guten Riecher dafür gehabt zu haben, wen es zu treffen lohnte und mit wem es nur Scherereien zu geben drohte. Eine Eigenschaft, die mir abging.
    So fuhren wir die Alte Straße entlang.
    „Was tun die Manusch an einem so weltentlegenen Ort wie diesem?“, eröffnete Salandar schließlich das Gespräch.
    „Ich bin allein“, kommentierte die Frau trocken, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
    „Wahrsagerin?“, riet Salandar.
    Sie nickte.
    „Tarot?“
    Sie nickte erneut.
    „Hervorragend“, stellte er fest, und ich fühlte mich plötzlich seltsam dumm und unwissend.
    Warum um alles in der Welt war es jetzt wichtig, sich die Karten legen zu lassen? Ich hielt jedoch meinen Mund und lauschte der einsilbigen Konversation der beiden, bis wir den Stadtrand erreichten und nach einer Weile zu einer kleinen, windschiefen Hütte nur einen Steinwurf vom Wald entfernt gelangten.
    „Da drüben wohnt meine Freundin.“
    Die Roma deutete mit der Hand auf eine Hütte. Nach einer bedeutungsschweren Pause fügte sie hinzu: „Tarot. Jetzt gleich?“
    Salandar nickte.
    „Es ist stets eine gute Idee, sich Möglichkeiten an die Hand geben zu lassen“, stellte er klar.
    Sie wandte den Kopf und musterte meinen Freund aus ihren nussbraunen Augen, denen ein seltsames Funkeln innewohnte. Es legte sich beinahe wie ein Schleier über jedwede Interpretationsmöglichkeit ihrer Züge.
    „So, so“, sagte sie schließlich. „Der Herr ist vom Fach.“
    „Könnte man so sagen“, gab Salandar zu.
    Einen Augenblick lang schien die Roma zu zögern. Doch dann riss sie sich zusammen und stieß die kleine Tür ins Innere ihres auf Rädern erbauten Reiches auf.
    „Das macht es noch interessanter“, murmelte sie und trat ein.
    Ich war weit davon entfernt zu begreifen, was im schummrigen Inneren des kleinen Wagens geschah – auch wenn ich dem Geschehen natürlich beiwohnte.
    Es roch nach Gewürzen und seltsamem Räucherwerk, und an den Wänden hingen die merkwürdigsten Gegenstände. Ihren Zweck konnte ich nicht erraten, aber ich reimte mir zusammen, dass sie wohl undurchsichtigen Riten, Wahrsagereien und dergleichen dienen mochten.
    „Da du weißt, worauf es ankommt, kann ich mir die Interpretationen ersparen, nehme ich an?“, fragte die Roma mit dem runden Gesicht.
    Doch Salandar verneinte. „Dann könnte ich mir die Karten auch selbst legen. Nein, deshalb bin ich nicht zu dir gekommen.“
    Offenbar verstand sie, was er meinte, denn sie nickte, um dann aus ihrer Schürze ein von einem Lederband zusammengehaltenes Bündel abgenutzter Karten zu ziehen.
    Sie mischte gekonnt und breitete sie mit dem Abbild nach unten auf dem Tisch aus.
    „Zehn Karten und eine Frage im Geiste“, wies sie Salandar an.
    Ich wartete auf die Pointe oder auf irgendeinen anderen Hinweis auf einen Scherz, den Salandar mit mir zu machen gedachte. Aber es kam nichts. Die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht war nicht gespielt.
    So zog er bedächtig nacheinander die Karten und legte sie beiseite, ohne sie anzusehen.
    Die Wahrsagerin fegte im Anschluss alle verbleibenden Karten zusammen und legte sie beiseite, um sich anschließend Salandars Auswahl zuzuwenden und die erste Karte aufgedeckt in die Mitte zu

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