Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
nickte.
„Tarot?“
Sie nickte erneut.
„Hervorragend“, stellte er fest, und ich fühlte mich plötzlich seltsam dumm und unwissend.
Warum um alles in der Welt war es jetzt wichtig, sich die Karten legen zu lassen? Ich hielt jedoch meinen Mund und lauschte der einsilbigen Konversation der beiden, bis wir den Stadtrand erreichten und nach einer Weile zu einer kleinen, windschiefen Hütte nur einen Steinwurf vom Wald entfernt gelangten.
„Da drüben wohnt meine Freundin.“
Die Roma deutete mit der Hand auf eine Hütte. Nach einer bedeutungsschweren Pause fügte sie hinzu: „Tarot. Jetzt gleich?“
Salandar nickte.
„Es ist stets eine gute Idee, sich Möglichkeiten an die Hand geben zu lassen“, stellte er klar.
Sie wandte den Kopf und musterte meinen Freund aus ihren nussbraunen Augen, denen ein seltsames Funkeln innewohnte. Es legte sich beinahe wie ein Schleier über jedwede Interpretationsmöglichkeit ihrer Züge.
„So, so“, sagte sie schließlich. „Der Herr ist vom Fach.“
„Könnte man so sagen“, gab Salandar zu.
Einen Augenblick lang schien die Roma zu zögern. Doch dann riss sie sich zusammen und stieß die kleine Tür ins Innere ihres auf Rädern erbauten Reiches auf.
„Das macht es noch interessanter“, murmelte sie und trat ein.
Ich war weit davon entfernt zu begreifen, was im schummrigen Inneren des kleinen Wagens geschah – auch wenn ich dem Geschehen natürlich beiwohnte.
Es roch nach Gewürzen und seltsamem Räucherwerk, und an den Wänden hingen die merkwürdigsten Gegenstände. Ihren Zweck konnte ich nicht erraten, aber ich reimte mir zusammen, dass sie wohl undurchsichtigen Riten, Wahrsagereien und dergleichen dienen mochten.
„Da du weißt, worauf es ankommt, kann ich mir die Interpretationen ersparen, nehme ich an?“, fragte die Roma mit dem runden Gesicht.
Doch Salandar verneinte. „Dann könnte ich mir die Karten auch selbst legen. Nein, deshalb bin ich nicht zu dir gekommen.“
Offenbar verstand sie, was er meinte, denn sie nickte, um dann aus ihrer Schürze ein von einem Lederband zusammengehaltenes Bündel abgenutzter Karten zu ziehen.
Sie mischte gekonnt und breitete sie mit dem Abbild nach unten auf dem Tisch aus.
„Zehn Karten und eine Frage im Geiste“, wies sie Salandar an.
Ich wartete auf die Pointe oder auf irgendeinen anderen Hinweis auf einen Scherz, den Salandar mit mir zu machen gedachte. Aber es kam nichts. Die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht war nicht gespielt.
So zog er bedächtig nacheinander die Karten und legte sie beiseite, ohne sie anzusehen.
Die Wahrsagerin fegte im Anschluss alle verbleibenden Karten zusammen und legte sie beiseite, um sich anschließend Salandars Auswahl zuzuwenden und die erste Karte aufgedeckt in die Mitte zu legen.
Das Kreuz, das sie legte, bestand aus zehn Karten, vergilbt und verbogen von all den Jahren, in denen sie geweissagt, gewonnen und verloren hatten.
Nach und nach deckte die Wahrsagerin sie auf und deutete sie.
Die erste zeigte den Tod, die Ursache, den Beginn unserer Odyssee, unseres Wanderns durch die Düsternisse der Stadt Leyen.
Dann legte die Roma die zweite Karte offen auf die erste. Der Narr. Wir stolperten wahrhaftig umher wie die Narren, Homer hätte seine wahre Freude an uns gehabt, während er fein säuberlich Jamben und Trochäen um unser Geschick gesponnen hätte.
Drei Kelche zeigte uns die nächste Karte. Wir befanden uns auf einer Reise voller Überdruss und ohne Entrinnen. Ein Suchen und Suchen, ohne den Ansatz zur Lösung.
Das Suchen war die Situation des Bittstellers, dieser war der Magier, dessen Karte die Roma auf die Kelche legte. Verblüffung über das, was die Frau uns erzählte, überkam mich. Dabei wusste ich doch, dass es sich nur um kleine Tricks des Verstandes handeln konnte ... oder etwa nicht? Immerhin hatte ich schon viel gesehen ...
Die Zwei der Stäbe beleuchtete die Tiefen der Vergangenheit als Welt gewordene Kraft und manifestierter Wille. Betraf dies uns? Oder waren wir nur Opfer eines ausschweifenden Bedrängers? Doch die sechs Schwerter kündeten von einem neuen Ansatz, einer neuen Idee, die uns oder irgendjemanden ereilen sollte. Aber natürlich war nicht klar, ob irgendjemand die geistige Kehrtwende auch vollziehen würde.
Sie deckte die nächste Karte auf, sie zeigte einen Wagen.
Während die Roma etwas davon faselte, es gelte, etwas Altes zu vollenden, fühlte ich mich geneigt, den Wagen auf unsere derzeitige Situation im Zigeunerwagen zu
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