Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
vielleicht eine kuriose Geschichte, die Leute wie Sie interessieren könnte.“
Erwartungsvoll blickten Hagen und ich zu dem Geigenbauer hinüber, dessen Ehefrau sich nun auch einen Stuhl nahm. Hagen boxte mich unter dem Tisch zurück, um mir auf diese Weise zu verstehen zu geben: Siehst du, war doch richtig, das Thema gleich zur Sprache zu bringen.
„Also“, begann Fechner. „Die Violine Annas von Eulenbach ist diejenige ihrer Großmutter. Zumindest hat man mir dies so gesagt, als ich sie einmal zu einer Überholung hier im Haus hatte. Schon damals ist mir das ungewöhnliche Material der Wirbel aufgefallen. Ein wenig wie Elfenbein, aber dann auch wieder ganz anders beschaffen. Wenn Sie sagen, dass sie aus menschlichen Knochen gemacht wurden, dann ist dies zwar ziemlich widerwärtig, aber immerhin nicht unmöglich ...“
Hagen und ich wechselten einen Blick.
„Das ergibt Sinn“, überlegte ich laut. „Müller Roth hatte den Spuk schon in der ersten Nacht bemerkt, und auch in der ersten Nacht hat es draußen wild gestürmt. Aber erst in der darauffolgenden Nacht ist das Ganze eskaliert. Vielleicht hat es tatsächlich damit zu tun, wie lange und intensiv man auf der Violine spielt.“
Hagen nickte.
„Woher stammt denn die Geige?“, wollte er wissen.
Fechner verzog das Gesicht.
„Von meinem Vorgänger. Aber jetzt, wo Sie es sagen ... da gibt es schon eine widerliche Geschichte über ihn. Er soll dem Wahnsinn anheim gefallen sein, als seine Frau ihn einmal mit einem anderen betrog. Nun gut, es wäre ja vielleicht verständlich, dass man sich in so einem Fall nicht mehr viel zu sagen hat, aber er soll sie mit einer Geigensaite erdrosselt haben.“
„Anton!“, beschwerte sich seine Frau.
„Was soll ich denn sagen?“, protestierte der Angesprochene. „Die beiden sind im Auftrag des Grafen hier und wollen wissen, was man sich an unheimlichen Geschichten erzählt. Also bekommen sie, was sie hören wollen.“
An uns gewandt fuhr er fort: „Man könnte das mit einem Blick in die gräflichen Aufzeichnungen bestätigen, wenn Sie unbedingt wollen.“
Hagen und ich hatten aber etwas völlig anderes im Sinn. Der Gedanke einte uns augenblicklich, und noch bevor ich etwas sagen wollte, hatte Hagen schon gefragt.
„Können Sie Geige spielen, Meister Fechner?“
„Ein wenig“, gab der irritiert zu.
„Würden Sie sich bereiterklären, uns in einer Stunde zu treffen? Wir hegen da so einen Verdacht.“
Zwar zeichnete sich auf Fechners Gesicht eine große Frage ab, aber schließlich zuckte er mit den Schultern und meinte: „Warum nicht? Wenn es der Beseitigung der hässlichen Geschichten hier in der Stadt dient ...“
Es kam nur noch selten vor, dass es mich gruselte – meine gesammelten Erfahrungen als professioneller Geisterjäger und -austreiber aller möglichen Arten von Spuk hatten mich in gewisser Weise gestählt –, aber dieser Nachmittag hatte es schon von seiner Grundstimmung her in sich.
Wenn ein Haus verlassen ist, dann scheint es ein Eigenleben zu entwickeln. Einen Charakter, eine Wesensart, über die es sich definiert. Es bekommt Persönlichkeit – viel mehr als zu belebten Zeiten.
Der Flur des Hauses begrüßte uns mit einem widerhallenden Knarzen und dem Getrippel eines Rudels Ratten, die die Vorräte der Küche plünderten.
Hagen entzündete eine Lampe, um gegen das Dämmerlicht im Haus anzuleuchten, während draußen zwar das widerliche Getöse des Sturms nachgelassen hatte, aber die trüben Wolken und der herbstliche Regen geblieben waren.
Behutsam nahmen wir die Pistolen aus unseren Gürteln und entsicherten sie. Außerdem hielt ich ein Säckchen mit Salz in der Hand, während wir vorsichtig die Stufen zum Salon hinaufstiegen. Anton Fechner folgte uns mit sichtlichem Unbehagen und einem kleinen Geigenkoffer in der Hand, der Anna von Eulenbachs Violine enthielt, die wir uns ... geborgt hatten.
Im Salon war das Licht besser, aber alles andere als gut. Von oben herab bedachte uns die kuriose Galerie der von Familie Ehlert gesammelten Gemälde und Porträts mit strengen Blicken.
„Welches ist das richtige Bild?“, raunte ich Fechner zu.
Der kniff die Augen zusammen und ließ seinen Blick im Zwielicht über die Wände voller Portraits wandern.
„Ich bin nicht sicher“, gestand er, während er sich einer Gruppe von Bildern näherte, die allesamt längst verstorbene Ehepaare zeigten. „Ich glaube jedoch, es ist eines von diesen. Wissen Sie, früher hingen sie bei uns. Doch
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