Lang lebe die Nacht: Ein phantastischer Historienroman (German Edition)
sie waren meiner Frau immer unheimlich, deshalb habe ich sie verkauft.“
„Zu Recht“, brummte Hagen bitter, während er den Blick über mehrere Familienporträts schweifen ließ, auf die Anton Fechner gezeigt hatte. „Wir müssen es also beobachten ...“
„Bitte“, forderte ich Fechner höflich auf, „fangen Sie an zu spielen!“
Während Fechner seinen Geigenbogen spannte und die Violine stimmte, ließ Hagen den Lichtschein seiner Funzel über die Bildersammlung gleiten, in der Hoffnung, irgendwelche Anzeichen zu erkennen, wen sie darstellen könnten.
„Ganz schön krank, wildfremde Porträts zu sammeln“, meinte er.
„Konzentrier dich lieber!“, mahnte ich, als Fechner der Geige erste klare Töne entlockte, die sich bald in der Luft zu einer schweren, vielleicht etwas jüdisch angehauchten Melodie formten.
Eines der großen Saalfenster flog auf und ließ eine feuchte Bö ein.
Fluchend stolperte Hagen in seine Richtung, um es wieder zu schließen, als sich lautes, widerwärtiges Lachen in die Musik mischte.
Kaum war der Laut verklungen, erschien in Fechners Rücken die krankhafte Gestalt der zum Irrsinn geschundenen Frau, die eine Saite zwischen ihren Fingern spannte.
„Spielen Sie weiter!“, rief ich Fechner zu. „Drehen Sie sich nicht um!“
„Iiih“, tönte das Kreischen des Geistes durch den Salon, während sie auf Anton Fechner zu rauschte.
Eine Handvoll Salz traf den Geist, ließ ihn flackern und verschwinden.
„Spielen Sie weiter!“
Meine Stimme hallte im unbevölkerten Salon der Ehlerts wieder, während Fechner krampfhaft die Augen geschlossen hielt, um sich nicht vor Angst ernsthaft zu verspielen.
„Spiel! Spiel!“, heulte die Geisterstimme durch das Gesellschaftszimmer.
„Hagen! Welches Bild ist es?“
Doch Hagen war nicht schnell genug. Auf dem Weg zurück zur Galerie fuhr ihm der Schemen zwischen die Beine, und er fiel der Länge nach hin. Die Petroleumfunzel flog im hohen Bogen aus seiner Hand und zerschellte auf den marmornen Fliesen, um eine brennende Lache auf dem Fußboden zu hinterlassen.
Jetzt machte Fechner den Fehler, die Augen zu öffnen. Starr vor Entsetzen entglitt ihm der Bogen. Die Geisterfrau erschien direkt vor seiner Nase und spannte drohend die Saite zwischen den Fingern.
„Was ist?“, flötete sie böse. „Spiel! Spiel weiter!“
Ich griff in den Salzsack und holte aus, doch diesmal war der Geist schneller, er fuhr mir gegen die Brust und ich schlitterte einige Meter weit über den blanken Boden. Das Salz aus dem Leinensack verteilte sich im Raum.
Fechner hatte sich vor Angst zusammengekauert, während die Frau grässlich lachend über ihm flimmerte.
„Spielen Sie!“, rief ich, legte an, zielte, schoss.
Das Geschoss aus Steinsalz wischte den Kopf des Schemens fort und mit ihm den Rest.
„Spielen Sie!“, beschwor ich Fechner, während ich mich aufrappelte, und der alte Geigenbauer nahm zitternd den Bogen zur Hand und begann aufs Neue damit, den Geist zu beschwören.
„Kommen Sie hierher, wo das Salz ist. Hier sind Sie sicher.“
Ein Heulen flirrte durch den Salon, und Herr Fechner nahm die Beine in die Hand, während er mit gezwungen ruhiger Hand versuchte, der Violine eine weitere Melodie zu entlocken.
„Ich hab’s“, rief Hagen. „Auf diesem Bild fehlt die Frau.“
„Verbrenn es!“
„Ich komme nicht dran.“
Das Bild hing viel zu weit oben, als dass einer von uns in der Lage gewesen wäre, es mit bloßen Händen zu erreichen.
„Schieß!“, fiel mir ein. „Schieß es runter!“
Vor mir manifestierte sich erneut die zerfetzte Gestalt des tobenden Schemens. Diesmal stieß er mich direkt um, legte mir in einem irren Lachanfall die Saite um den Hals und zog zu.
Die Welt explodierte vor meinen Augen in Schmerz, als das Metall in meinen Hals schnitt und auf die Luftröhre drückte.
Ein Schuss dröhnte durch den Salon. Hagen fluchte.
Mein Sichtfeld rückte immer enger zusammen, ich musste die Augen schließen, doch der Schmerz ließ nur Panik zu.
Noch ein Schuss, gefolgt von einen ohrenbetäubenden Scheppern.
„He, Geisterfrau!“, nahm ich Hagens von Hohn erfüllte Stimme wahr, während sich die Welt in tödlicher Achse zu drehen begann und mein Sichtfeld schrumpfte.
Dann war es vorbei. Die Saite verschwand, und ich fiel röchelnd auf den Rücken.
Ein paar Meter weiter brannte das Bildnis des ehemaligen Geigenbauers und seiner Frau – deren Geist irgendwie aus dem Bildnis entflohen war – lichterloh in den
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